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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0114
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io8

Max Dvofäk.

Diese Erklärung des italienischen Einflusses nördlich der Alpen um die Mitte des XIV. Jahrhun-
derts würde ausreichen, wenn es sich nur um compositionelle Eigenthümlichkeiten handelte. Es lässt
sich jedoch gleichzeitig in den wichtigsten nordischen Malerschulen auch ein Eindringen italienischer
Elemente in die Stilentwicklung verfolgen, für welches ein anderer Grund als die Annäherung in
literarischen und religiösen Zielen gesucht werden muss.

Wenden wir uns wiederum zu jenen Gegenden, in denen die Wiege der modernen Kunst des
Nordens gestanden ist. Der italienische Einfluss auf die französische Malerei der zweiten Hälfte des

XIV. Jahrhunderts ist schon wiederholt beobachtet und besprochen worden, so von Champeaux,1
Alfred Darcel2 und Courajod.3 Man hat sich im Allgemeinen noch sehr wenig mit der französischen
Kunst des XIV. Jahrhunderts beschäftigt, d. h. wenig, was ihre stilistische Entwicklung anbelangt.
Die Bestrebungen der grossen Kunstmäcene und das prunkvolle Leben an den nordfranzösischen
Höfen erwecken seit Langem schon Interesse und in dieser Richtung ist das reichlich erhaltene archi-
valische Material mit einer Ausdauer und Sorgfalt publicirt worden wie kaum anderswo.

In Burgund handelt es sich vor Allem um Tafelwerke. Das älteste erhaltene dürfte das kleine
Tragaltärchen in der Gallerie Weber sein. Es wurde früher dem Jean Malouel zugeschrieben, der
1396—1415 in Dijon malte, doch jedenfalls mit Unrecht, da es älter ist.4 Wenn auch ebenso aus der
Luft gegriffen, doch wenigstens wahrscheinlicher ist die Vermuthung Champeaux', es sei ein Werk des
Jean de Beaumez (1375—i397)s. Jedenfalls wird von Champeaux mit Recht betont, dass das Bild
nicht viel jünger sein kann als die Apokalypse von Angers. Aus den Neunzigerjahren stammen die
beiden schönen Tafeln von Melchior Broederlam im Museum von Dijon und aus den ersten Jahren des

XV. Jahrhunderts die Tafeln aus der Chartreuse in Dijon, von denen wenigstens eine (das Leben des
St. Denis im Louvre) mit Wahrscheinlichkeit als ein Werk des Henri Belechose betrachtet werden
kann.6 Diese Bilder sind deshalb wichtig, weil sie der fast einzige sichere Rest der nach Quellennach-
richten überaus reichen Werke der monumentalen Malerei sind, die in der zweiten Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts in nord- und mittelfranzösischen Kunstcentren geschaffen wurden. Von den zahlreichen
Wandmalereien, welche Philipp der Kühne z. B. in Argilly, in Dijon und in Hesdin ausführen liess,
hat sich keine Spur erhalten. Aus den Archivalien erfahren wir, dass wir einen Verlust an Kunst-
werken zu beklagen haben, die an Zahl und Reichthum kaum hinter denjenigen einer italienischen
Kunstmetropole zurückgeblieben sind. Ebensowenig hat sich von den Wand- und Tafelmalereien er-
halten, welche der Herzog von Berry ausführen liess. Die Malereien von Bicetre bei Paris, welche von
den Zeitgenossen so bewundert wurden, gingen noch zu Lebzeiten des Herzogs bei einem Volksauf-
stande zu Grunde; die Wandmalereien des Beauneveu in Mehun-sur-Yevre und diejenigen in Nonette,
an deren Ausführung wahrscheinlich auch Italiener beschäftigt waren, wurden später zerstört.7 Einen
mageren Ersatz bieten uns einige Glasgemälde.

Dagegen haben sich illuminirte Handschriften in ziemlich reicher Anzahl erhalten. Davon ist
besonders wichtig eine Reihe von Handschriften, welche für den Herzog von Berry ausgeführt wurden,
bei welchen wir die Entstehungszeit und die Künstler kennen und die zugleich als die höchsten Lei-
stungen der französischen Büchermalerei jener Zeit betrachtet werden müssen. Die wichtigsten dar-

1 Les traveaux d'art executes pour Jean de France duc de Berry, p. 121 ff., und L'ancienne ecole de peinture de la
Bourgogne: Gazette des beaux-arts 1898, p. 36 ff.

s L'art dans les Flandres avant le XV siecle: Gazette des beaux-arts 1887, p. 138 ff.

3 Les origines de la Renaissance en France, Paris 1888, p. 21 ff. Courajod zählt Einzelnes aus den vielfachen Be-
ziehungen zwischen Frankreich und Italien im XIV. Jahrhundert auf; doch sagt er dann: Si les contacts entre les deux ecoles
furent frequentes dans l'ordre des faites, ils furent nuls dans celui des consequences. Es ist auch zu vergleichen Courajod,
La part de la France du Nord dans l'oeuvre de la Renaissance, Paris 1891.

4 Vgl. Repertorium XVII, S. 496 ff., und Zeitschrift für christliche Kunst VIII, S. 147 ff., und XIV, S. 1 ff.
' L'ancienne ecole de peinture de la Bourgogne: Gazette des beaux-arts 1898, p. 36 ff.

6 Daselbst. Photographie von Giraudon.

' Ueber die Malereien von Bicetre sind die Nachrichten von Champeaux-Figeac a. a. O., über diejenigen von Mehun-
sur-Yevre und in Nonette von Dehaisne zusammengestellt worden (Documents concernant l'histoire de l'art dans la Flandre,
Lille 1886, und Histoire de l'art dans la Flandre, Lille 1886).
 
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