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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 29.1910-1911

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I. Teil: Abhandlungen
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Pollak, Oskar: Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520-1600
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https://doi.org/10.11588/diglit.6176#0120
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Studien zur Geschichte der Architektur Prags 1520—1C00.

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oder besser: toskanische Pilaster, im ersten Geschosse jonische Halbsäulen vorgesetzt. Wenn man die
bisherige Entwicklung der Prager Architektur kurz überblickt und bedenkt, daß erst in den vierziger
Jahren klarere Begriffe von italienischer Renaissance auftreten, so muß das Entstehen einer so entwickelten
«römischen» Pfeilerkomposition in diesen Jahren auf nordischem Boden berechtigtes Staunen erregen.
Überdies war der Baumeister nicht einmal ein Italiener sondern ein Deutscher, der wahrscheinlich weder
Zeit noch Geld genug gehabt hat, italienische Originale, die diesem Stile entsprechen, selbst zu sehen;
denn die hätte er nur in Rom sehen können, wo dieser Stil etwa dreißig Jahre vorher sich zu entwickeln
begonnen hatte. Daß der Meister

J

diese Bauten nicht aus eigener
Anschauung und aus eigenem Stu-
dium kannte, dafür spricht folgen-
des: Betrachten wir die Grundrisse
und Durchschnitte des Orgelchors
bei Podlaha-Hilbert (siehe unsere
Figg. 22—24), so bemerken wir zu
unserer Überraschung, daß trotz der
ins Auge stechenden Renaissance-
formen der Fassade die Konstruk-
tion, die Deckenbildung, ja die
Rückseite der Pfeiler noch unver-
fälschte deutsche Spätgotik ist: die
im Erdgeschosse in geradlinigen,
im Obergeschosse in gewundenen
Reihungen konstruierten Netzge-
wölbe, aus denen obendrein noch
konstruktiv ganz unnötige, rein
spielerisch angebrachte freie, in der
Luft plötzlich abbrechende Rip-
pen hervorwachsen, würden einem
Schüler Rieths alle Ehre machen.
All das beweist, daß der Erbauer
vom Ganzen eines Renaissance-
baues, von seinem inneren Leben,
das sich in der Fassade aussprechen
soll, von seinem struktiven Gefüge
keinen Begriff hatte. Bedeutsam
genug, daß derselbe Wolmut den
Bau der Landrechtstube in der

kaiserlichen Burg, den er gleich nach Beendigung des Orgelchors in Angriff nahm (1559 Sieg seines
Entwurfs, 1560 Baubeginn, 1563 Beendigung),1 ganz in spätgotischem Sinne, mit vielverschlungenen
Reihungen am Gewölbe durchführte. Er kannte eben offenbar nur die Außenseite italienischer Bau-
weise, und zwar aus Zeichnungen und Architekturwerken; wo es sich um konstruktive Fragen handelte,
mußte er auf die Spätgotik zurückgreifen. Serlios Buch bringt auch hier Licht ins Dunkel: seine
Zeichnung des Marcellustheaters in Rom auf S. XLIX seines III. Buches (Fig. 21) hat es dem Meister
des Prager Orgelchors offenbar angetan; von hier entnahm er, freilich mit einigen Änderungen, die
wuchtigen römischen Formen. Die dorischen Erdgeschoßarkaden sind ihm viel gestreckter und schlanker
ausgefallen als beim Vorbild; auch hat er Pilaster statt der Halbsäulen verwendet. Das Gebälk sowie die

Fie. 3o. Portal aus Scrlio, IV. Libro d'Architettura.

1 Reg. 4279, 4282—4284, 4291, 6i83, 4309, 4359, 6210.
 
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