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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 8.1893

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Heft 1
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Kekulé von Stradonitz, Reinhard: Über einen angeblichen Ausspruch des Lysipp
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https://doi.org/10.11588/diglit.38776#0050
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Kekule, Über einen angeblichen Ausspruch des Lysipp.

Aus diesen Nachrichten bei Plinius hatte Heinrich Meyer1 seine allgemeine
Ansicht über Lysipps Kunst geschöpft: »Selbstkräftig« — so ist bei Meyer zu
lesen —, »ohne Meister scheint Lysippus die von der Natur ihm verliehenen Kunst-
anlagen ausgebildet zu haben. Sei sie gegründet die Sage, dafs auf seine An-
frage: an welches Muster er sich halten soll? Eupompus der Maler, ihm eine Menge
Menschen weisend, antwortete: die Natur mufs man nachahmen, nicht einen Künstler 1
so berechtigt solches noch keineswegs zu dem Schlufs: Lysippus sei des Eupompus
Schüler gewesen; im Gegenteil erkennen wir darin Andeutung eigenen Bemühens,
augenblicklicher Ungewifsheit, welcher Weg am nächsten zum Ziele führe. Jenes
gehaltvolle vom Eupompus gesprochene Wort aber war bei unserm Künstler als
ein edles in fruchtbare Erde gefallenes Samenkorn herrlich aufgegangen; denn zu-
verlässig bestund das eigentümliche seiner Kunst, das, wodurch seine Werke sich
von denen der besten frühem Meister unterschieden, im Scheine treuerer Nach-
ahmung und mehrerer Annäherung an die Natur. Von ihm selbst hat man die tief
gedachte, den Charakter seiner Kunst klar andeutende Äufserung aufgezeichnet: die
Vorfahren hätten die Menschen dargestellt wie sie wirklich wären, er, wie sie ihm
zu sein schienen.« Heinrich Meyer behauptet dann noch, Lysipp habe ebenso wie
Praxiteles vornemlich der Schönheit und der Grazie nachgetrachtet, Praxiteles jedoch
mit höherem Geistesaufschwung fester an dem reinen, wahrhaftigen Schönen ge-
halten, dahingegen der Stil, oder das allgemeine Kunststreben, unleugbar durch den
Lysippus etwas niedergezogen, aber auch fafslicher und populärer geworden sei,
weil er in seinen Bildern weniger die allerschönste Form neben der notwendigen
Bedingung des Charakters und des Ausdrucks bezweckt habe, als gefällige Wohl-
gestalt, wie sie ihm in der Natur wirklich erschienen sei, veredelt durch geistreiches
Auffassen. Darum habe sich Lysipps Kunst auch so vorzüglich für Bildnisse
geeignet.
Gegen Meyers Deutung des lysippischen Ausspruchs und gegen seine ganze
Schilderung der lysippischen Kunst hat Otfried Müller Einspruch erhoben2. Nicht
einmal verständlich sei jener Ausspruch in der überlieferten Form. Er zweifele
nicht, dafs Plinius hier wie öfter griechische Ausdrücke nicht genau wiedergebe.
»Lysippos sagt etwa: oi jxev rrpo stxoö xsyvTxat STrobjöav xob; dvöpdurou? 0101 stötv, sju)
os oioos sousv sTvcu, und Plinius, statt zu übersetzen: quales esse convenit oder par
est, dachte an das gewöhnlichere soixs videtur.« Otfried Müller ist nachträglich un-
sicher geworden, ob er den Wortlaut des griechischen Satzes richtig getroffen habe;
aber der Sinn, so erklärt er, sei klar und quales viderentur esse werde sich schwer-
lich anders denn als Misverständnis verstehen lassen. »Lysippos wollte sagen: die
Früheren zogen ihre Regeln blos von der Natur ab, ich folge zugleich einem Be-
!) Geschichte der bildenden Künste bei den Grie- Band. 1827. Juli, August, September. S. 140 ff.
chen von ihrem Ursprünge bis zum höchsten K. O. Miiller’s kleine deutsche Schriften heraus-
Flor. (Dresden 1824) I S. 122 ff. gegeben von Eduard Müller II (Breslau 1848)
2) Jahrbücher der Literatur. Neununddreifsigster S. 380 ff. Kunstarchäolagische Werke von K.
O. Müller II (Berlin 1873) S. 165 ff.
 
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