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Deutsches Archäologisches Institut [Hrsg.]; Archäologisches Institut des Deutschen Reiches [Hrsg.]
Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts: JdI — 8.1893

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Gercke, Alfred: Vulneratus deficiens
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https://doi.org/10.11588/diglit.38776#0125
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Gercke, Vulneratus deficiens.

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verstehen konnte, wie viel Muth ihm blieb«, setzt also animi an Stelle von animae
und nimmt offenbar an, dafs Plinius beide Worte verwechselt habe, weil er den
Sinn des Twsutraxos in seiner Quelle nicht richtig verstanden habe.
Nun hat ja Plinius vieles mifsverstanden und manche Nachrichten sind schon
auf dem Wege zu ihm in einer fast unglaublichen Weise entstellt worden, aber im
einzelnen Falle handelt es sich immer darum, ob man den Irrthum nachweisen
kann: nicht ob ein Mifsverständnifs möglich war, sondern ob ein solches anzunehmen
nothwendig oder wahrscheinlich ist, ist die Frage. Und Six selbst deutet Anm. 9
an, dafs er seiner Kombination zu Liebe den gewünschten Sinn in die Pliniusstelle
hineininterpretiert hat. Er hätte aber weiter gehen und statt animi etwa virium
einsetzen müssen: denn von dem Helden war doch zu sagen, dafs sein Muth ihn
überhaupt nicht bis zum letzten Athemzuge verliefs, nur zum Theil seine Kraft:
das allein durfte der bewundernde Beschauer wahrnehmen. Wäre also animi über-
liefert, so mtifste man es nothgedrungen ändern. Wenn aber anima in dem Zu-
sammenhänge des Plinius sich genügend erklären und belegen läfst, so mufs man
dies altüberlieferte Wort und den damit verbundenen Sinn halten und vielmehr die
moderne Kombination aufgeben. Und das ist in der That der Fall.
Hveuuct = anima ist so viel wie Lebensgeist oder Lebenskraft. Diese Vor-
stellung wird seit der Zeit des Peripatetikers Straton Philosophen und Ärzten (vgl.
Diels, Uber das physikalische System des Straton, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie 1893 IX S. 104 ff.) und allmählich, wohl durch Vermittelung der Stoa
(Zeller III i 3 194 ff. Stein, Psych. d. Stoa 2, Kap. 3 f. vgl. Siebeck, Unters, zur
Philos. d. Griech.2 227, 244, 249), dem ganzen Alterthume geläufig, da sie nicht
nur an ältere philosophische Lehren (vgl. Siebeck, Zeitschr. für Völkerpsychologie
XII S. 361 f.) anknüpfte sondern auch an Volksvorstellungen, von denen Homer
Spuren erhalten hat; nur darf man nicht mit Buchholz, Hom. Real. III 2 Kap. 1
von einer vis vitalis bei Homer sprechen: das ist ein Anachronismus. Durch das
rrvsujxa lebt man, sein Verlust ist Verlust des Lebens; durch Mund oder Nase
pflegt es den Sterbenden zu verlassen, und deshalb soll der auf alles gefafste Weise
in primis labris animam habere (Seneca, N. Q. III Praef 16). Natürlich können für
■nvsup-a gelegentlich uneigentliche Ausdrücke eintreten, wie aoFya in dem Ladas-
epigramm (Anth. Plan. 54 Jakobs) oder öuyrj beim Herodas, wo der unnütze Junge
geprügelt werden soll a/pi? 4 ^uyv]
«UTOU 8 TU ystXLov [XOUVOV fj XCCXY] XsicpD-(j
(III 3 b): die Vorstellung ist dieselbe.
Und man darf nicht etwa glauben, die antike Vorstellung unterscheide sich
nicht wesentlich von der unsrigen, wonach das Athmen aufhört in Folge Stillstehens
des Herzens. Aus dieser modernen Anschauung heraus kann man z. B. die allen
geläufige des Neuen Testamentes von dem übertragbaren und theilbaren Ttveujxa
nicht verstehen, die aus derselben Wurzel entsprossen ist wie die des griechisch-
römischen Heidenthums. Den Unterschied von der modernen Anschauungsweise
kann vielleicht am besten eine Anekdote verdeutlichen: Paulina, der zweiten Ge-
 
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