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Graef, Antiochos Soter.

also überhaupt erst mit Bewufstsein empfangen worden sein. Wer ohne durch das
Münzbild eine deutliche und vollständige Vorstellung zu gewinnen, dessen Züge
einzeln mit einem Porträtkopf vergleicht, wird immer fehl gehen. Wem aber aus
der Betrachtung des Münzbildes ein starker lebendiger Eindruck erwächst, der be-
darf nicht eines in die Seitenansicht gerückten Kopfes, um ihn damit zu vergleichen.
Er wird die Vorderansicht auf die Ähnlichkeit mit der Münze hin ansprechen. Ich
schrecke nicht vor dem Paradoxon zurück, dieses als den eigentlichen Prüfstein auf-
zustellen. Ist das Münzbild gut und der Beschauer im Sehen geübt, so müssen die
Verkürzungen der Seitenansicht seiner Phantasie die Anregung zu einer vollständigen
körperlichen Vorstellung geben können. Hans von Marees verlangte von sich und
seinen Schülern, dafs sie eine vor dem Objekt in irgend einer Ansicht angefertigte
Zeichnung ohne erneute Betrachtung des Objektes in eine andere Ansicht trans-
ponieren könnten3. Nur wenn auf Grund der Münzen ein so klares Vorstellungs-
bild gewonnen worden ist, haben die Übereinstimmungen, die mit einem plastischen
Kopf gefunden werden, methodischen Wert. Es gilt nun weiter zu untersuchen, ob
diese auf wesentlichen Zügen beruht. Ist das der Fall, so kann irgend eine etwas
anders geführte Linie die Ähnlichkeit nicht mehr widerlegen, wie umgekehrt ohne
eine solche Übereinstimmung die zufällige Gleichheit irgend eines Umrisses nicht
ins Gewicht fällt.
Der Versuch, einen bedeutenden Kopf der Vatikanischen Sammlung als
Antiochos Soter zu erweisen, welcher durch diese Worte eingeleitet werden soll,
kann eine Auseinandersetzung nicht vermeiden mit einem anderen Versuche, ein
Porträt dieses Fürsten zu entdecken, der Billigung gefunden hat. Paul Wolters hat
in der Archäologischen Zeitung 1884, Taf. 12, einen bekannten Münchener Kopf mit
drei verschiedenen Münzbildern des Antiochos zusammengestellt. Wohl lassen sich
gewisse Ähnlichkeiten im Untergesicht finden, sehr genau stimmt zum Beispiel die
Linie vom Nasenflügel zum Mund auf der Münze unten rechts auf der Tafel überein
mit dem Marmorkopf, das zeigt aber nur, wie unwesentlich sie ist. Denn so ver-
schieden die Münzbilder auch untereinander sein mögen, so stimmen sie doch im
Gesamtcharakter vollständig überein. Und dieser ist von dem des Kopfes ganz
verschieden. Erstens in der äufseren Form: Mögen auch scharfe Linien an der
Nase beim Münzbilde sein und auch die Muskulatur der Wangen ausgeprägt er-
scheinen, dennoch ist der Münzkopf deutlich nicht mager wie der Münchener, sondern
voll. Auch der Hals ist voll und rundlich auf den drei Münzen, während sich bei
dem Marmorkopf in besonderer Schärfe der Kehlkopf herausdrängt. Noch mehr
lehrt der Ausdruck: der Marmorkopf erscheint leer gegenüber dem ausdrucksvollen
und stark wirkenden Kopf der Münze, und das, obgleich er sorgfältig ausgearbeitete
reich bewegte Formen hat. Alle äufserlichen Mittel einer entwickelten Kunst sind
angewendet: lebhaft bewegte Haare, deren überhängende Masse tief unterschnitten

3) »Aus der Werkstatt eines Künstlers«, Erinnerungen an den Maler H. v, Marees von K. von Pidoll.
1890 als Manuskript gedruckt. S. 7.
 
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