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A. v. Salis, Zur Neapler Satyrspielvase.

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diese athenischen Wandmalereien aus! In der Theorie ist ja nun die Überzeugung
längst gefestigt, daß die monumentale Malerei zu Ende des V. Jahrhunderts aus-
giebig und durchaus sicher mit Licht und Schatten und Raumtiefe arbeitet; allein
es gilt jetzt auch vor den Folgerungen nicht zurückzuschrecken: es gibt pompejanische
Wandbilder, welche dieser Kunststufe gar nicht ferne stehen. Ein geschärftes Auge
müßte unter dem, was der Geschmack der Spätzeit an raffinierteren Lichteffekten,
an beweglicherem Linienspiel und Reizen anderer und konkreterer Art etwa dazu
getan hat, die großen Züge der klassischen Grundlagen erkennen. Ich halte das
Pentheusbild der Casa dei Vettii in der Tat für eine in diesem Sinn bedingte Wieder-
holung des Wandgemäldes im Dionysostempel zu Athen.
Damit soll nicht gesagt sein, daß uns diese pompejanischen Malereien nun
auch wirklich eine Vorstellung geben können von dem Stil jener klassischen Schöp-
fungen. Den Stil vertreten uns rein und unverfälscht eben nur die gleichzeitigen
Vasengemälde. Es mag paradox klingen, aber der tiefere künstlerische Gehalt des
athenischen Pentheusbildes tritt uns weit deutlicher und greifbarer als in dem pom-
pejanischen Fresko (wo das Leben der Linie doch schon gezähmt und gelähmt er-
scheint, trotz allem Bauschen der Gewänder), entgegen in der Thiasosszene des
Neapler Kraters mit seinem einheitlichen und großzügigen Flattern und Wehen und
dem echten Pathos seiner entfesselten Leidenschaft. Wenn wir gerade dieses Vasen-
bild heranziehen möchten, um eine sinnliche Vorstellung von der stilistischen Eigenart
dieser Kompositionen zu geben, so geschieht es \vegen der besonders glücklichen
Anlage seines großen Figurenreichtums; denn darin möchten wir eben das eigent-
liche Resultat der vorliegenden Untersuchung sehen: nicht als streng bemessene
Fassungen im Stile der Dreifigurenreliefs, wie Birt seinerzeit empfahl, haben wir
uns diese Bilder zu denkep, sondern im Gegenteil als große und bewegte Szenen
von einem beträchtlichen Aufwand und einer bedeutenden Figurenzahl. Wir müssen
uns hier versagen — die Arbeit sollte noch gemacht werden, und lohnen würde sie
sich gewiß —, die Spuren dieser grandiosen Kunst in der Vasenmalerei dieser Periode
und der folgenden Entwicklung zu sammeln; nicht nur Einzeltypen erregt tanzender
Mänaden, hüpfender und haschender Silene, die plötzlich überall sich eindrängen,
tragen den Stempel dieser Herkunft auf der Stirn, auch größere Gruppen, da und
dort etwas variiert, darf man mit der monumentalen Malerei in Einklang bringen.
Durchaus wahrscheinlich ist die Vermutung von Winter, 50. Berliner Winckelmanns-
programm 116, daß der Maler jenes Bologneser Kraters mit der Rückführung des
Hephäst »auch für das Bild des bacchischen Tanzes (auf der Vorderseite), welches
schon durch die reiche und fein zusammengeschlossene Handlung eine bedeutende
Vorlage verrät, aus dieser Fülle schöpfte, wenn auch Pausanias unter den Gemälden
des Tempels eine gleiche Darstellung nicht aufzählt«. Wir ahnen aber in der Tat-
sache schon, daß die Vasenmalerei zu Ende des V. Jahrhunderts der dionysischen
Ekstase und anderen pathetischen Stoffen mit einemmal Tür und Tor öffnet, die
gewaltige Wirkung dieser neuen, reichen und faszinierenden Kunst. Neben dem
gemessenen und ruhigen Vortrag der gewohnten Weise, wie sie noch das Hauptbild
des Neapler Satyrspielkraters vertritt, hört sich das aufgeregte Ungestüm der Rück-
 
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