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Μ. Bieber, Paris des Euphranor und Jünglingsköpfe aus dem IV. Jahrhundert v. Chr. 173

seine Formen so schwer. Die Bauchmuskulatur ist kräftig, fast hart gezeichnet. Der
Sägemuskel an der linken Seite ist stark, aber beinahe geometrisch eckig hervor-
gehoben, während er bei dem Agias, dessen linker Arm eine ganz ähnliche Haltung
hat, nur leicht, aber plastisch gerundet angegeben ist. Trotzdem sind die Ähnlich-
keiten mit dem Agias, die Homolle betont hat (a. a. 0. 433 und 460), besonders in
der Behandlung der Oberfläche zu groß, als daß man ihn mit Miss Gardiner und
K. K. Smith (a. a. 0. 459) aus der Gruppe ausweisen könnte. Auch für die Statue
des Aknonios (Bull, de Corr. hell. a. a. 0. PI. XXV r.; Fouilles de Delphes PI. LXVI 1.)
hat Amelung (a. a. 0. 153 f.) Abhängigkeit von Polyklet nachgewiesen. Der Daochos
(Bull, de Corr, helh a. a. 0. PI. XXV 1.; Fouilles de Delphes PI. LXVI r.) erinnert
an den ,,Phokion“ (Helbig Nr. 339), dessen Original im V. Jahrhundert geschaffen
wurde (vgl. Homolle a. a. 0. 468). In dem Körper und in dem Kopfe des Agias endlich
findet Homolle (a. a. 0. 450 und 456) Anklänge an den Stil des Skopas. Ich möchte
das nicht wie er (a. a. 0. 459) und Amelung (a. a. 0. 150) als Abhängigkeit des
Lysipp von Skopas erklären. Möglich ist ja, daß dem Meister des Agias für die Kom-
■position die Bronzestatue des Lysipp in Pharsalus vorschwebte. Eine genaue Kopie
ist die Marmorfigur sicher nicht. Das Vorbild für den Kopf war hier vielmehr ein
Werk von der Stilstufe des'Kopfes in Olympia, also ein Zwischenglied zwischen
Euphranor und Skopas, das freilich an das äußerste Ende der Reihe gehört.
Wir haben also eine Gruppe von ruhig geradeaus blickenden, vornehmen Jüng-
lingsköpfen 34), die wir wegen ihrer Verwandtschaft mit der Statue von Antikythera
dem Kunstkreise des Euphranor zuschreiben können. Ihnen allen gemeinsam sind
die tiefe Schädelform, die kurzen Flaarsträhnen, die über der Stirn aufsteigen,
sich aber sonst dem Kopf anschmiegen, die leicht vortretende Unterstirn, der
gerundete Gesichtskontour, die länglichen Augen, die sorgfältig gearbeiteten
Ohren und die normalen Gesichtsproportionen 35). Sie haben weder den zarten
Liebreiz, die vollendete Feinheit und die Eleganz der Ausführung praxitelischer
Köpfe noch die feurige Tatkraft und das intensive Leben skopasischer. Es fehlt
ihnen die Beseelung und Vergeistigung, die jene beiden großen Künstler dem
Marmor zu verleihen wußten. Es sind würdige Heroen, denen man es ansieht, daß
sie —■ wie Euphranor von seinem Theseus sagte — sich nicht von Rosen, sondern
von Fleisch nähren.
Athen, Mai 1910. Margarete Bieber.

34) Nur der Kopf im Thermenmuseum hat einen
unruhigen Charakter.
35) Vgl. die fast identischen Maße der Köpfe in Dorpat
und im Piraeus (S. 169 Anm. 28 und S. 171,

Anm. 31). Bei beiden beträgt z. B. sowohl
der Abstand der äußeren Augenwinkel wie die
Entfernung vom Haaransatz bis zum unteren
Nasenrand ιος/2 cm.
 
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