F. Studniczka, Das Gegenstück der Ludovisischen »Thronlehne«.
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als ich mir seine eigenen Thesen nicht durchaus aneignen konnte. Und Fothergill
zeigte mir schon vor Jahren das Manuskript einer ausführlichen Darlegung seiner
Ansicht über das ornamental-plastische Wesen der beiden Gegenstücke, die ich erst
jetzt zu verstehen und zu würdigen vermag, nachdem mich die eigene genaue
Untersuchung an Originalen und Abgüssen auf dieselben Beobachtungen und zum
Teil auf dieselben Folgerungen gebracht hat. Ich bedauere, daß diese Arbeit noch
nicht gedruckt vorliegt. Einige Einzelheiten des Ludovisischen Marmors hat für
mich zuletzt Puchstein nachgeprüft, dem ich auch den ersten Anstoß zur richtigen
Erkenntnis der tektonischen Formen verdanke. Es ist ein großer Schmerz, dem
alten Freunde die fertige Arbeit nur noch aufs Grab legen zu können.
1. Echtheitsfrage und Erhaltungszustand.
Ungern und nur weil es schon andere getan haben1), erwähne ich, daß dem
herrlichen alten Meisterwerke gleich der Verdacht moderner Fälschung entgegen-
getreten ist, freilich ohne bisher öffentlich das Wort zu nehmen. Mir ist er von nicht
weniger als vier Vertretern unseres Faches an deutschen Universitäten bekannt ge-
worden, die alle ursprünglich nur nach kleinen Photographien urteilten. Einer von
ihnen hatte die dankenswerte kollegiale Gefälligkeit, mir seine Gründe am Gipsabgüsse
genau darzulegen, nach dessen eingehendem Studium er bekannte, das Werk sei
durchaus stilrein, freilich ohne darum den Verdacht loszuwerden. Einem anderen
ist dies bereits gelungen. Hoffen wir, daß die übrigen ihm bald nachfolgen, bevor
der Einfall mehr Druckerschwärze in Anspruch genommen hat, als er wert ist. Ab-
gelehnt wird er von allen Sachkundigen, die meines Wissens das Original gesehen
haben; so von dem frühem Eigentümer und den Beamten des Museums in Boston,
dann unter den Verfassern der erwähnten Aufsätze ausdrücklich von Hauser
und de Mot, stillschweigend von Marshall und Fothergill, dazu in mündlichen Äuße-
rungen von R. Kekule von Stradonitz, Georg Treu und Theodor Wiegand. Auch
dem Verfasser der Schrift »Neuere Fälschungen von Antiken« hat, wie ich sicher
weiß, der Marmor nicht den geringsten Zweifel erregt. Ebenso urteilten vor dem
Abguß so erfahrene Kenner wie Conze, Richard Schöne und Puchstein.
Es handelt sich um eine Verirrung des mit Recht immer wachen kritischen
Sinnes, wie sie vor dem unerwarteten Neuen, zumal wenn es der Deutung Schwierig-
keiten bietet, nur zu häufig vorkommt. Dem Ludovisischen Seitenstück ist ja etwas
Ähnliches begegnet, indem es zwar nicht für modern, aber für eine späte archaisierende
Arbeit erklärt worden ist. 2) Geradezu für neue Machwerke galten jedoch an-
fangs namhaften Gelehrten, um nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit
zu nennen, das Prachtstück altetruskischer Bronzekunst, der Wagen von Monte-
T) S. Reinach a. a. 0. ohne Nennung von Namen;
Hauser im Texte zu Furtwängler und Reich -
hold, Vasenmalerei III, S. 22 Anm.
2) So C. L. Visconti im Bullet, comun. XV 1887,
273, mit ihm Heydemann in der Zeitschr. für
bildende Kunst 1890, 153 und Cultrera in seiner
Erstlingsschrift Saggi sull’ arte ellenistica S. xxx
Anm. 1.
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als ich mir seine eigenen Thesen nicht durchaus aneignen konnte. Und Fothergill
zeigte mir schon vor Jahren das Manuskript einer ausführlichen Darlegung seiner
Ansicht über das ornamental-plastische Wesen der beiden Gegenstücke, die ich erst
jetzt zu verstehen und zu würdigen vermag, nachdem mich die eigene genaue
Untersuchung an Originalen und Abgüssen auf dieselben Beobachtungen und zum
Teil auf dieselben Folgerungen gebracht hat. Ich bedauere, daß diese Arbeit noch
nicht gedruckt vorliegt. Einige Einzelheiten des Ludovisischen Marmors hat für
mich zuletzt Puchstein nachgeprüft, dem ich auch den ersten Anstoß zur richtigen
Erkenntnis der tektonischen Formen verdanke. Es ist ein großer Schmerz, dem
alten Freunde die fertige Arbeit nur noch aufs Grab legen zu können.
1. Echtheitsfrage und Erhaltungszustand.
Ungern und nur weil es schon andere getan haben1), erwähne ich, daß dem
herrlichen alten Meisterwerke gleich der Verdacht moderner Fälschung entgegen-
getreten ist, freilich ohne bisher öffentlich das Wort zu nehmen. Mir ist er von nicht
weniger als vier Vertretern unseres Faches an deutschen Universitäten bekannt ge-
worden, die alle ursprünglich nur nach kleinen Photographien urteilten. Einer von
ihnen hatte die dankenswerte kollegiale Gefälligkeit, mir seine Gründe am Gipsabgüsse
genau darzulegen, nach dessen eingehendem Studium er bekannte, das Werk sei
durchaus stilrein, freilich ohne darum den Verdacht loszuwerden. Einem anderen
ist dies bereits gelungen. Hoffen wir, daß die übrigen ihm bald nachfolgen, bevor
der Einfall mehr Druckerschwärze in Anspruch genommen hat, als er wert ist. Ab-
gelehnt wird er von allen Sachkundigen, die meines Wissens das Original gesehen
haben; so von dem frühem Eigentümer und den Beamten des Museums in Boston,
dann unter den Verfassern der erwähnten Aufsätze ausdrücklich von Hauser
und de Mot, stillschweigend von Marshall und Fothergill, dazu in mündlichen Äuße-
rungen von R. Kekule von Stradonitz, Georg Treu und Theodor Wiegand. Auch
dem Verfasser der Schrift »Neuere Fälschungen von Antiken« hat, wie ich sicher
weiß, der Marmor nicht den geringsten Zweifel erregt. Ebenso urteilten vor dem
Abguß so erfahrene Kenner wie Conze, Richard Schöne und Puchstein.
Es handelt sich um eine Verirrung des mit Recht immer wachen kritischen
Sinnes, wie sie vor dem unerwarteten Neuen, zumal wenn es der Deutung Schwierig-
keiten bietet, nur zu häufig vorkommt. Dem Ludovisischen Seitenstück ist ja etwas
Ähnliches begegnet, indem es zwar nicht für modern, aber für eine späte archaisierende
Arbeit erklärt worden ist. 2) Geradezu für neue Machwerke galten jedoch an-
fangs namhaften Gelehrten, um nur zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit
zu nennen, das Prachtstück altetruskischer Bronzekunst, der Wagen von Monte-
T) S. Reinach a. a. 0. ohne Nennung von Namen;
Hauser im Texte zu Furtwängler und Reich -
hold, Vasenmalerei III, S. 22 Anm.
2) So C. L. Visconti im Bullet, comun. XV 1887,
273, mit ihm Heydemann in der Zeitschr. für
bildende Kunst 1890, 153 und Cultrera in seiner
Erstlingsschrift Saggi sull’ arte ellenistica S. xxx
Anm. 1.
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