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Santa Maria la Blanca.

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Jm Schildbogen des Seitenschiffs über der Thür einer Kapelle sah man in
dnnkeln Wolkenmassen eine feine jugendliche Gestalt erschcinen, den Blick demütig ge-
senkt, umflossen von orangebräunlichem Schein, die blonden reichwallenden Haare mit
goldenem Gewölk verschmelzend. Zur Rechten, schweben Engel, unten, links tritt aus
dem Dunkel eine Schar hervor, Halbfiguren, die, in gläubiger Jnbrunst zu ihr auf-
sehend, das Geheimnis der unbefleckten Empfängnis verehren. Ein ältlicher Mann
führt fie, er scheint ihnen (wie der Beschwörer die von ihm gerufene Erscheinung), als
Mystagoge, deren Bedeutung zu erklären. Das Laienelement hatte ja bei dieser Be-
wegung vielfach den Vortritt. Jn dem Schein steht der Spruch: In xriucüiüo clilsxit sam.

Jn der andern Lünette war eine allegorische, aber einnehmend gemalte Darstel-
lung, ungleich heller und farbiger als die erste. Ein ungewöhnlich schönes Mädchen,
in weißer Tunika, den brennend roten Mantel über den Schoß gebreitet, hält den
Kelch mit der Hostie nnd zwei Schlüssel in den bis zum Ellenbogen entblößten, vollen
weißen Armen, die Linke ruht aus dem heiligen Buch. Vielleicht ein auserwähltes
Kind von Sevilla, das im Auto den Glanben vorgestellt hatte. Unten wieder, in Halb-
tönen, Andächtige verschiedenen Alters und Standes: ein Bettler, eine junge Bäuerin
mit ihren Kleinen. Ein Engel dahinter breitet eine Schriftrolle aus: la üusiu
ckilsxik sulu. —

Wenige Werke können sich in Beliebtheit bei seinen Landsleuten messen mit
jenen lusckios xuutos. Es ist wohl nicht bloß das allerdings ganz in spanischen Geschmack
gedichtete fromme Märchen und seine durchsichtig klare Erzählung, es ist auch die beneidens-
wcrte Leichtigkeit, mit der er hier seine Sprachmittel handhabt nnd dem Wunderbaren
anpaßt. Die Hand, der Pinsel, der dies holde Nachtgesicht hervorgerufen hatte, schienen
sie nicht verwandt der Wundergabe jener Wesen, welche der Glaubc mit dem magischen
Schlüssel' beschenkt, der allerorts nach Belieben die Thür aus der Geisterwelt in die Sicht-
barkeit öffnet.

Schon im Jahre 1655 hatte Murillo für die Kathedrale die Geburt der Maria
gcmalt, jetzt die Perle des Louvre. Die Schöuheit der Farbe, die sorgfültige, durch
gleichmäßige Betonung aller malerischen Darstellungsmittel hervorragende Ausführung, die
hcrz- und sinnerheiternde Bewegung dieser Wochenstube legt die Vermutung nahe,
daß er das Bild als Probestück ansah: die große Leinwand für die Taufkapelle kam ja
ein Jahr danach. Eine auf die gleich folgenden Bischossbilder bezügliche Notiz des
Kapitelarchivs nennt ihn damals schon „den besten Maler in Sevilla".

Ein Triumph seiner Kunst aber ist hier, daß sie sich zuerst ganz verbirgt. Das
Auge des Laien sieht nur eine malerische Jmprovisation: einen geschäftigen, lauten,
jubclnden Knäuel von Gevatterinnen, Wehmüttern, Zofen, Engeln jeden Alters, in
 
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