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Nach dem Jugendstil

Die Tendenzen der Zeit bringt Milchgäßle 12 anschaulich zum Aus-
druck, ein Werk des Stuttgarter Architekten Karl Fink. Den asymme-
trisch gesetzten Eingang betont er mit architektonischen und dekorati-
53 ven Mitteln. Der Stichbogen des tiefen Gewändes trägt eine barockisie-
rende Kartusche mit dem Baudatum 1907, überlagert von einem
geschweiften, vorkragenden Bogen. Diese auffallend schwungvolle
Lösung hat der Entwurf so vorgesehen, aber genauso die Geometrie der
flachen Türe. In ihren sechs Füllungen stehen Quadrate, und das
gläserne Queroval des Oberteils ist mit einem engen, winkligen Band
vergittert. Das ist nicht plump formuliert, genausowenig das vertikale
und horizontale Rillenband zwischen und über den Füllungen. Doch
Linienschwünge haben hier keine Gnade mehr gefunden.
Das Pendel hat zurückgeschlagen. Statt des Jugendstiles wünschte man
einen vereinfachten, abgeklärten Formenapparat. Was sich daraufhin
einstellte, waren Quadrate, Rauten, Ovale, insgesamt antikisierende
Motive, die durch das Biedermeier hindurchgegangen waren. Eine Neu-
auflage des Spätklassizismus demnach und so kurzerhand als Neuklassi-
zismus firmiert. Die Bestätigung der Anleihe liefert der mit jonischen
Pilastern gerahmte Eingang Goethestraße 2 (heute Gesundheitsamt,
1909 von den Stuttgarter Architekten Bihl und Woltz für einen Gmün-
der Arzt gebaut).

Namhafte Architekten jener Zeit handeln im Grundsatz nicht anders.
Neuklassizistisch baut Peter Behrens die deutsche Botschaft in Peters-
burg 1911/12, Joseph Maria Olbrich das Haus Feinhals 1908 in Köln
und selbst Mies van der Rohe entwirft noch 1919 ein derartiges Haus.
Dies im Gedächtnis wenden wir uns zwei damals blutjungen Architek-
ten zu, deren Können und Originalität Gmünd zugute kam: Martin
Elsässer und Hans Herkommer.

Zuerst Martin Elsässer (Tübingen 1884 - Stuttgart 1957), der Schüler
Theodor Fischers. Auf seine Stuttgarter Zeit gehen drei stattliche Bau-
werke Gmünds zurück: das Evangelische Doppelpfarrhaus (heute Deka-
nat) Oberbettringer Straße 21 (1907), die Königliche Fachschule samt
Museumsflügel (heute Fachhochschule für Gestaltung), Rektor-Klaus-
Straße 100 (1908/09) und das Evangelische Gemeindehaus (1914/16).
Elsässers Entwürfen liegt der Gedanke einer zweckmäßigen, gut durch-
gegliederten und zugleich körperhaft wirkenden Architektur zugrunde.
In der Detailplanung - und das betrifft auch die Türen, wird mit dem
Können des Handwerkers und seiner materialgemäßen Arbeit gerech-
net. Man sieht es diesen Architekturen an, daß ihr Meister von den
Idealen des 1907 in München gegründeten Deutschen Werkbundes, dem
54 Schlüsselschild mit Türknopf er früh beitrat, angezogen war.

Leonhardstraße 10 (1909) Konkretisieren wir dies anhand unseres Themas. Die Tür des Dekanats- 7 1
 
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