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Österreich / Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale [Hrsg.]
Kunstgeschichtliches Jahrbuch der K[aiserlich-]K[öniglichen] Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale — 2.1908

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Stix, Alfred: Die monumentale Plastik der Prager Dombauhütte um die Wende des XIV. und XV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.25489#0085
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Alfred Stix Die monumentale Plastik der Prager Dombauhiitte usw.

wir die Linien der Entwicklung klarer verfolgen können als in den vielen Dutzenden fast
fabrikmäßig erzeugten Statuen, mit denen so viele Kirchen des XIV. Jhs. angefüllt sind.

Die Zeit, welche hier behandelt wird, umfaßt die Jahre von 1373 bis beiläufig 1410.

Den Reigen eröffnen die Bildwerke des Domes, zuerst eine Strebepfeilerstatue des
hl. Wenzel, dann folgen die 7 Grabmäler, etwas später sind die 21 Büsten der Triforiums-
galerie und 10 solche an der Außenseite des Domchores entstanden. Dem letzten Jahrzehnte
des Jahrhunderts gehören die fünf Standbilder an, welche den Altstädter Brückenturm
schmücken, der Portalschmuck der Teinkirche reicht bereits beiläufig ein Dezennium in das
XV. Jh. hinein. Alle diese Werke bilden eine geschlossene Gruppe mit einheitlicher Ent-
wicklungstendenz, die man nach ihrem Ausgangspunkte am besten die Schule der Prager
Dombauhütte nennen wird.

Die Statue des hl. Wenzel

Die Statue (Fig. 29 und 30) stand ehemals auf einem Strebepfeiler über der Wenzels-
kapelle des Domes in einem Tabernakel.1) Der Heilige ist im ritterlichen Kostüme der Ent-
stehungszeit des Bildwerkes dargestellt. Eine Herzogsmütze bedeckt ein längliches schmales
Antlitz mit hochgewölbten Augenbrauenbogen. Das Gesicht wird von lang herabfallendem
Haare und einem Vollbarte umrahmt; die einzelnen Haarsträhne sind gesondert und nicht
naturalistisch behandelt, die Enden werden zu Spiralen zusammengedreht. Der Oberkörper
ist von einem Kettenhemde bekleidet, darüber liegt ein Lederpanzer. Von den Schultern
fällt der Herzogsmantel in schweren langen Falten herab. In der Linken hält der Heilige
einen Schild, in der Rechten eine Lanze (heute nicht mehr vorhanden). Ergänzt sind die
Nase, die beiden Unterarme, ein Teil des Schildes, der Dolch und kleinere Partien des
Mantels. Die Ergänzungen sind im großen und ganzen richtig und stören nicht.

Die Statue ist aus Pläner Kalkstein verfertigt, der sich zur Bearbeitung vorzüglich
eignet und uns unter den Arbeiten der Prager Schule noch häufig begegnen wird. Die
Gesamthöhe der Figur beträgt sechs Kopflängen.

Das Standmotiv ist gut beobachtet. Das linke Bein trägt das Körpergewicht, das rechte
ist als Spielbein leicht vorgesetzt. Allerdings löst sich der Fuß nicht vom Boden los, doch
wird dieser Fehler dadurch maskiert, daß der Boden selbst dort etwas ansteigend gebildet
ist. Ein leiser Kontrapost gibt der Gestalt erhöhten Reiz. Die Schwingungslinie entspricht
selbstverständlich durchaus gotischem Formgefühle: die Schulter des Standbeines ist, wenn
auch kaum merklich, emporgezogen. Doch wird als Gegengewicht der Kopf zur Schildseite
geneigt, so daß es wirklich gestattet ist, von einem Kontrapost zu sprechen.

Das Standbild war für seinen Platz auf einem Strebepfeiler komponiert und
für die Untersicht berechnet. Dies beweist uns der im Hinblicke auf die perspektivische
Verkürzung verlängerte Oberkörper, der nicht nur nach der Seite, sondern auch nach unten
stark geneigte Kopf, so daß der Eindruck entstehen mußte, als ob der Heilige über den
Schild hin auf die Beschauer unten herabblicke, und endlich in ganz schlagender Weise die
eigentümliche Bildung des Auges. Das obere Lid ist stark plastisch durchgebildet und
gewissermaßen hervorgezogen. Dadurch stellt sich der Augapfel als eine dem Beschauer

') Um sie den Einflüssen der Witterung zu entziehen, später restauriert und an den heutigen Standort in das
wurde sie um die Mitte des vorigen Jahrhunderts herab- Haus der Dombaukanzlei überführt; sie steht hier — un-
genommen und in der Dreieinigkeitskapelle aufgestellt günstig genug — auf dem Absatz einer halbdunklen Treppe.
(Mikowec, Altertümer und Denkwürdigkeiten Böhmens X 42),
 
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