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Schultze. Hallunke'. Mörder! Halsabschneider!-—
Müller. Aber Schultze, was machst de denn?
Schultze. Bcticlxack! Hungerleider! Schufte! Galgenvögel!-
Müller Ader Seimige, bist tu verrückt?
Schnitze. Warum denn?
Müller. Daß du so schimpfst!
S ebultzc. Das io doch nich geschimpft! Ich lerne mir ja man
bloß ne Englische Parlamcntorcde auswendig!

Müller. Was heißt denn Ouligul» aus Deutsch?
Schnitze. Stieselchcn.
Müller. Ach so! Nanu wird es mir klar!
Schnitze. Was denn?
Müller. Das Enke von den „Fechter von Ravenna", wo die
Verschworenen immer bloß sagen: „Morsen! Also morsen!"
Schultze. Na was soll denn „morsen" sind?
Müller. „Morsen!" — de» hccßt den» so viel als wie: „SNebel
muß sterben!"
Schultze. Js denn des Theater wirklich der Spiegel desLebeno?
Müller. So io cs. Besonders in dieser Woche. Im Lpcrnhausc:
Fra Diavolo. In, Schauspiclhausc: Der Fechter von Ravenna,
und in der Sing Akademie: Der Revisor von Gogol. Also Russi-
sches Lustspiel, Deutsches Trauerspiel und Französische
Räubergeschichten — da hast du den schönste» Spiegel des
Lebens.
Müller. Wie bist du den» mit deinem Abschluß vonS vorige Jahr
zufrieden?
Schultze. Abschluß is diesmal nich. Wie können wir denn heut
wissen, was wir „sollen" oder was wir „haben"? Und wie kann uns
den» heut was Anderes übrig bleiben, als —
Müller. Na ja. ich weeß schon. Den Saldo kan» sich jeder
alleene vertragen.
Schultze. Hast du den» von die neue jejcnscitigc Feuerver-
sicherung ssteu er in die Zeit,,, gen jelescn ?
Müller. Ja. Aber wie iS cs denn eijentlich damit?
Schultze. Na, du wirst jczwungcii meine Möbel zu versichern und
ich deine; und wenn wir »ich jutwillig wollen, kommt der Exeeutor. Js
des nich reizend?
Müller. Nur nich schimpfen! Es hat AilcnS sein Jules. Ich weeß
so immer nich, heißt es: ich versichere dir, oder ich versichere dich. Durch
dieser Steuer is „u vor alle Aällc josorgt.
Müller. Sag' mal Schultze, was iS dem, des cejciitlich, 'ne „beson-
dere Mission"?
Schultze. Des wceßt de »ich? Des is wenn janz besondere Leute in
janz besonderen Aujlrägcn an janz besondere Orte jcschickl werden, wo sic
sich eine janz besondere Aufnahme zu erfreuen haben und — —
Nt ü II er. Also kurz und jut: 'ne Mission, an der Allens was
janz Besonderes is?
Schulßc. Ja; man bloß was sic ausrichtcn, iS manchmal durchaus
nichts BesondcreS-
Müller. Warum denn?
Schultze. Das hat manchmal seine janz besondere» Ursachen!

Der /echter von Ravenna.
Hör' mal — sagte ich — weil wir doch jetzt zu Neujahr die vielen Aus-
gaben habe», so wollen wir doch auch des neue Stück „der Fechter von
Ravenna" seben. Es soll ein achtes Deutsches Trauerspiel sein, wo einem
das Herz an die Rippe» klopft, und wo man sich sagen muß: Was könnten
wir Deutsche für eine Nation sein, und wie würde» die Geschäfte gehen und
Jeder hätte zu thu», wenn die Römische Knechtschaft nicht über uns ge-
kommen wäre!
Schön! — sagte sie, nämlich meine Gattin Minna, geborne Jallcnsieber,
— eü wird heut zum zweite» Male gegeben, ich werde durch August die
Billcts besorgen lassen.
Ich kümmerte mich also nicht weiter darum, und so wurde es sieben Uhr,
als mich meine Frau aus dem Laden ruft, und sagt: Ich habe dir Alles
zurecht gelegt, ziehe dich schnell an, August holt die Droschke. Ich fahre
also rasch in die Kleidungsstücke, dann fahre ich vor de», Spiegel mir noch
rasch durch die Haare und dann in der Droschke nach dem Theater.
Es ist sehr voll und der erste Act bereits angegangen, welcher das
öffentliche Familienleben der alten Römer schildert, wie sic in einem Hause
zusammen leben, die Kinder gemcinschastlich abhärten und als freie Männer
nicht arbeite», Familien Haus nennt man das.
9!ach und nach werden sich sämmtlichc Römer um das öffentliche Früh-
stück aus irdenen Raffeclöpsen versammeln, und das ungebildete Publicum
wird über ihr Kostüm in Lachen ausbrcchen, weil es zum Theil abgetragen
ist, oder was man sagt antik. Nun aber wird es still. Die Musik sängt
einen Sicgcsmarsch an, und der Fechter von Ravenna stürzt heraus und
an den Souffleurkasten. Allgemeines Hurrah! Er trägt ei» einfaches blaues
Leinwantlleid, aus der Brust aber einen gelben, erhabenen Messingpanzcr und
singt nun inii ungeheurer Leidenschaft ein Lied von den großen Römische»
Allcrtbümcrn, als wie Eolosscnm und Odeum und Orpbcum, Hcr-
culanum, Pompeji, Tonhalle und so weiter, was ..dermal» Heiterkeit
erregt, weil Niemand mehr die Römische Geschichte kennt.
Der zweite Act beginnt, und das Gelächter wird immer stärker, so daß
ich zu meiner Frau sage: da kannst du sehen, wie veifchiedcn der Geschmack
in Deutschland ist. I» Wien hat dieses Stück zu Tbränen gerührt, und
hier in Berlin wird es bereits beim zweiten Male ausgelacht. Bitte sehr
— sagt mein Nachbar — es ist beut zum achtunddrcißigstcn Male. Erlauben
Sie — sageich — hier ist der VcrgnügungSanzeigcr, lesen Sie selbst: „Zum
ersten Male wiederholt: Der Fechter von Ravenna." Bitte sehr — sagt
er — das ist nicht der Fechter von Ravenna, das sind die Bummler
von Berlin.
Nanu Minna, — sage ich — wozu hast du denn die Billcts holen
lassen? Ja wohl — sagt sic — die Crclinger ist plötzlich erkrankt und
mit rothe Zettel abgeändert, und so hat August ein Paar zu der Friedrich-
Wilhelmsstadt genommen. Es ist ja ganz egal. Theater ist Theater.
Es ist nicht egal — sage ich — ich will das Deutsche Volk in seinem
Versal! sehen, und dieses ist hier ein Matcrialladen. Gleich gebst du heraus
und läßt dir das Geld zurück geben! — Rübe! Ruhe! beißt es von alle»
Seiten, weil ich mit meiner Frau gewöhnlich sehr laut spicchc, und so fassen
mich auch zwei Schutzmänner und bringen mich heraus, indem mir zugleich
die Schauspieler von der Bühne zurufen: Adieu! Kommen Sie hübsch
wieder!
Nu» sragc ich: hat ein Eomödiant da» Recht von der Bühne herunter
einen angesessenen Bürger zu verbölnicn, weil er sich im Jrr.hum befindet?
Und zeugt cs wohl von der Würde des Publicums, derartige schlechte Scherze
weiter zu verbreiten, da ich seit vorgestern mindestens schon zehnmal habe
hören müssen: Adieu, komme» Sie hübsch wieder!?
Duscda », Matcrialwaarcnhändlcr.
Die letzte Wochensitzung des Magistrats schloß der Vorstand mit de»
Worten: „Ob das kommende Jahr uns Krieg oder Frieden
bringen wird, — das liegt noch im Schooßc der Zeit!"
Welch' ein Scherblick! Und wer hätte wohl sonst den Muth, etwas
Achnliches öffentlich zu äußern!

Briefkasten.

M. in B.: Sehr barmlos! — Z. ?>. ik. in OsfenbaL: M,t Ausnabme de» Einen zu local. - H. K.n in St.: Nur für einen sehr
kleinen Theil des Publicums verständlich. — P. P. in Rakel: Weil, was alle sieben Jabrc nur einmal verkommt, dieses Vierteljahr 14 Sonnabende
und Sonntage zäbli, unc wir von den Postämtern und anderen Besörderungsanstallen die Erpedition von nur I 5 Nummern vierteljährlich zu beanspruchen
haben. — A. St. m Halb erstatt: Jbr „Ealmüser" verdient seine „Lorbeeren" mehr als mancher Held. —

At'ilme« LeuMirnsil'.
Mnliigsjliliiiig.
Rcdigirl von v. towcnslein.
Sir. 2 erscheint Montag de» 8. Januar.

Inhalt: Telegraphische Depeschen, politische und Stadt-Nachrichten vom Sonntag. — Londoner
Weihnachts-Pantomimen «Original-Correspondenz aus London). — I-'r» Diuvolo. — Eine Pro-
klamation der Lola Monlcz. — Theater. — Musik. — Büchertisch. — Vier Kritiken. — Localspritze. —
Raisonnircnder Briefkasten. — Börse.
Alle Postämter Leo In- und Auslandes liefern die Feuerspritze, vierteljährlich 13 Nummern sür 23 Sgr.
Die Vcrlagshandluiig: Ä. Hofmann u. Lomp. in Scrlin.
 
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