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Jur Weitung Schiffbrüchiger.

An Bord Sr. M. Spree-Dampfer „Nünnicke."

Schnitze. Alle Mann an Bord!

Müller. So is es! Mehr haben hier ooch wirklich nich'Platz aufs
Deck. Na und wenn wir nu allcweile hier beschlußfähig sind, worum seht
es den» nich los?

Zwickaucr. So eulig göht Ls nücht; örst muß das Glockenßeuchen
dös Prösüdönten — wollt' üch sagen, dös Capütöns gegöben würden,
dann würden dü Anker gelüchtet und dör Steuermann besteugt seunen Platz
auf dör Rödnerbühne.

Schnitze. Zanz wie im Reichstag!

Zwickauer. Söhr rüchtüg bcmörkt; dahör auch dör Name „Staats-
schüff."

(DaS Glockenzeichen wird gegeben; der Dampfer stößt ab.)

Prallhose. Nanu seht es los! Hurrah! — Drchkopp, waS iS denn
des? Du langst schon alleweile den Zilka 'raus?

Drchkopf. Es is man bloß von wesen die Seekrankheit. (Ertrinkt.)

Errphcmia Schmöker. Glauben Sie, niein Herr, daß man auch auf
dieser Fahrt seekrank werden kann?

Drehkopf. Q ja, wenn man Glück hat! Mein Freund Jotthilf hat
'ne Tochter, und wenn er nach Misdroy fährt, denn wird sie schon bei
Biesenthal auf die Eisenbahn seekrank. Aber Jött sei Dank jibt es ja
Mittel dajejen. (Trinkt nochmals.)

Euphemia Schmöker. Es ist doch ein merkwürdiges Gefühl, sich so
zum ersten Mal auf schwankem Boot den ungetreuen Wellen anvertraut zu
wissen! Wie ruhig das vorwärts gleitet! — Was ist dies dort für ein
Maduct, und in welcher Sterblichen Landen befinden wir uns jetzt?

Prallhosc. Des iS die Schilllngsbrückc, und was da oben steht,
sind man bloß Straßcnsungens. Nehmen Sie sich man in Acht, grölen;
menchmal spucken sie 'runter.

Euphemia Schmöker. Ach, Mama, wie der Blick auf offenem Meer
sich weitet! Sieh dort, Pfahlbauten, von wilden Dölkerstämmen bewohnt,
zu-denen die Sitte der Bekleidung noch nicht gedrungen ist!

Drchkopf. Des is die M a aß'sch c Schwimmanstalt; da Hab' ich
ooch als Junge schwemmen jelernt.

Schnitze. Denn müssen Sie 'n feiner Junge jewesen sind und in Ihre
Familie Wohlstand jeherrscht haben.

Müller. So is es! Wie wir jung waren, haben wir uns mit
Schweinsblasen oder Binsen bei's „Studentenbad" im Schafjrabcn
bejnügt, und cs sing ooch. Nich wahr, Schultze?

Schultze. Jewiß. Ja, die Zeiten haben sich jeändert, und heutzutage

-Na, ich will mir hier »ich weiter ärjern; aber so viel is jewiß: des

kommt AllcnS man bloß von die verdammte Gründungen und alle die
Jefellschasten und-

Zwickauer. Alle können Sü sü doch nücht so, mür nüchts, dür nüchts,
brörü manübus vcrurtheulen. So ßum Bcuspül düse „Deutsche Gcsöll-
schaft ßur Röttung Schüsfbrüchiger", was uns heute düscS üntcressante
Schauspül auf döm Müggelsöö bereutet, üst gewüß eune dör ödelstcn
Gründungen, was dü Wölt jömals gesöhen hat.

Müller. So is es! Da haben Sie Recht.

Drchkopf. Hurrah! Die Schiffbrüchigen sollen leben! Fifat hoch!

Euphemia Schmöker. Ich bin in der That sehr gespannt auf dieses
interessante Schauspiel.

Schultze. Na ich ooch. Wenn wir man nich zu spät kommen! Hören
Sie 'mal, Steuermänneken, fahren Sie 'n bißken zu! Sehen Sie doch, die
anderen Wafferdroschken kommen uns alle vor!

Der Capitün. Können Sic die Inschrift nicht lesen, wonach es streng
verboten ist, mit dem Steuermann zu reden? Ucbrigcns seien Sic unbesorgt;
Sr. M. Schiff „Nünnicke" hat bisher noch immer seinen Cours
gehalten.

Zwickauer. O, wönn düses doch alle dü anderen Börsenpapürc auch
von süch sagen könnten !

Drchkopf. Au! Ooch Wasser-Kalauer? Da muß ich Eenen drauf
nehmen — es is man bloß von wejen die Seekrankheit! (Er tri»».)

Schultze. Hören Sie, mein Herr, ich kenne Ihnen zwar nich; aber so
viel wecß ich: wenn Sie so fortfahrcn, denn habe» Sie sich eine ordentliche
Seekrankheit anjedudelt, noch eh' wir auf'n Müggelsee sind. Schwanken
thun Sie schon!

Der kleine August Schmöker (ans Drcbköpf zeigend). Seh'mal, Mama
wie der Herr da seht! Immer mit breite Beene, und bald rechts, bald !in[ä

Euphemia Schmöker. Der Herr ist wahrscheinlich ein Seemann vo»
Geburt; diesen Gang haben alle Matrosen.

August Schmöker. Na, Papa is doch aber man bloß Geheimsecreläd

Euphemia Schmöker. Was soll das heißen?

August Schmöker. Na, wenn er immer erst 'n andern Morsen von
Clausing oder Paepke zu Hause kommt, denn jetzt er immer janz jmau
accurat ebenso.

Euphemia Schmöker. Still, dumnier Junges Schau' lieber borffiirr;
die Menge Schiffe, Alle mit Menschen besetzt — und hier die Tausend und
aber Tausende, die am Ufer harren! ES ist gewiß eine Milliarde! Mz
sage ich, eine Milliarde? Halb Berlin scheint auf den Beinen zu sein.

Schultze. Jott sei Dank, deß wir endlich da sind! Was is denn des
da drüben ans andere Ufer?

Der Capitän. Das ist das „Schiff in Roth".

Drehkopf. In Roth? Ach die armen KerlS! Wenn sie man niH
verdursten! Hier, Herr Capitän, schnieiße» Sie ihr meine Pulle 'rüber! -
Was? Sie wolle» nich? Ooch jut! Denn trink' ich alleenc! (ist irinft)

Schultze. Nanu aber im Ernst, Herr Cap'tän: woso is es denn
eejentlich in Roth?

Der Capitän. Es ist vom Sturm an eine Felswand verschlagen, dort
gescheitert, und die starke Brandung hindert das Wrack loszukommen und
die Mannschaft sich zu retten.

Prallhosc. Na ich sehe ja aber nischt: keene Brandung nich und
keencn Sturm ooch nich.

Drchkopf. Denn mußt du — seekrank sind! Ich sehe Allcns: Mens

schwankt um mir her — ich bin im Sturm — ich habe 'n Brand-

Brand — Brandung. (Er schlaft ein.)

Der Capitän. Das „Schiff in Roth" ist ja nur imaginär, mir als
Beispiel; Sie müssen sich das Alles vorstellen. Sehen Sie: jetzt hißt cs die
Nothflagge auf. Dort drüben am andern Ufer befindet sich der Raketen-
Apparat. Nun geben Sie Acht!

(Ein Schub knallt.)

Euphemia Schmöker (zusaminensalirenv). Herr Gott, bin ich erschrocken!
Das knallt ja ganz wie im Victoria-Theater im „Courier des Zaren."

Zwickaucr. En wenh! Dü Lenne üst gerüffen!

Der Capitän. Das thut nichts; dann muß der Versuch wiederholt
werden. Passen Sie auf!

(Ein zweiter Schuß. Der Versuch gelingt unter taufcndftimniigem Hurrabrusen
des Public»,»S.>

Zwickauer. Bravo! Ausgeßeuchnet! Söhen Sü, nun stcngt dör ge-
rotteter Söömann im döm Sacke und würd müttclS ühm durch dör Senne,
an wölchcr ör beföstügt üst, glücklüch am Lande geßogcn.

Alle. Bravo! Bravissimo! Hurrah!

Euphemia Schmöker. Höchst merkivürdig! Höchst interessant! Sai
also sind die berühmten Torpedos? '

Zwickauer. Wü henßt, Torpödö? Gerade üm contrörcn GögmtheuU
Düses üst eune Raköten-Batterü, waS von oben schüßt, um e»n SW
ßu rotten, wohüngögen dör Torpödo von unten örplodürt, um das SW
ßu ßerstören, wü ja örst nenlüch ün dör Donau durch düsen rnMe»
Torpödos ßwcu türküsche Monüteurs müt Mann und Maus ün dör Snst
gespröngt worden sünd.

Euphemia Schmöker. Wirklich? Gräßlich! Schrecklich! O dieser
Krieg! Und gibt cs denn gar kein Mittel dagegen?

Zwickauer. Uech ßum wönigste» könne kenns, die Türken, wü ös
scheunt, auch nücht. Vülleucht daß Vürchow euns weuß!

Schultze. Ich habe jehört, die Türken hätten alleweile ein janzes
jeheimes Mittel dajejen erfunden: sie wollen dressirte Haifische in die
Donau setzen, die die Torpedos unterS Wasser ab beißen sollen.

Müller. So is eS! Wenn es sie man jut bekömmt!

Zwickaucr. WaS göht's uns an? Was göht uns überhaupt dör
Krüg an? Uech für mennem Theule ßühe jödenfalls dü ftüdlü-ben M-
ströbnngen düses ödlen VereunS vor und glaube dü Sützung nücht bösser
schlüßen ßu können als müt eimenr Hoch auf dör „Deutschen Gesöll-
schüft ßur Röttung Schüsfbrüchiger". Sü löbc hoch!

Alle. Hoch! Hoch! Hoch!

(Der Dampfer wendet um und kehrt »ach Berlin zurück.)

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