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Aus dem Slaatsminilierium.

jifftti1 zwei Wochen Hai das Staatsministerium endlich angefangen, sich
lsW ernstlich und gründlich mit der Bestätigung des Bürgermeisters
Kirschner zu beschäftigen. Bis dahin hatte man die Sache liegen
lassen, wie man eben Dinge, die keine Eile haben, bei Seite schiebt, um
erst wichtigere und dringendere zu erledigen, da aber wurde Freiherr
v. d. Recke im Landtage gefragt, ob die Verzögerung vielleicht In Ver-
bindung stehe mit der Absicht des Berliner Magistrats, die Stelle, wo
die in den Märztagcn Gefallene» begraben liegen, nothdürslig in Ordnung
bringen zu lassen.

Frhr. v. d. Recke konnte diese Frage mit gutem Gewisjen verneinen,
denn bis dahin ivar keiner unserer arglo,e» Minister auf den Gedanke» ge-
kommen, das, zwischen diesen beiden Angelegenheiten irgend ein Zusammen-
hang bestehen konnte. Als nun aber durch die Anzapfung im Parlament
die Aufmerksamkeit des. Ministeriums auf diesen Punkt hingelenkt war.
kam man bald zu der Erkenntnis,, das, ein solcher Zusammenhang sich
doch ohne Schwierigkeiten construiren lasse, und man beschloß nun, der
Sache aus de» Grund zu gehen.

Seitdem hält nun das Ministerium jeden zweiten Tag eine Sitzung
ab, in der man sich nur mit der Bcstäligungssragc beschästigt. Miguel
übernimmt immer selbst das Referat, weil natürlich in einer so schwierigen
und delikaten Sache nur der Klügste im Collcg die nöthigen Direktiven
geben darf, und er erledigt sich dieser wahrlich nicht leichten Aufgabe mit
all der Gründlichkeit und Objectivilät, die man an ihm kennt.

In jeder Sitzung saßt er zuerst in einem längeren, meisterlich dispo-
»irten und stillsirtcn Vorträge alles zusammen, was für die Bestätigung
spricht. Wenn er geendet hat, so ist das ganze Ministerium einstimmig

der festen Ueberzeugung: „Kirschner muß bestätigt werden'" Rach einige»
Minuten der Erholung ergreift aber Miguel wieder das Wort und legt
nun in nicht minder überzeugender und bestrickender Weise alles dar, was
sich gegen die Bestätigung sogen läßt. Ist er fertig, so ruft das ganze
Colleg aus: „Es ist rein unmöglich, den Mann zu bestätigen!" Da aber
Miguel, der die bestrickende Gewalt seiner Rcdegabc kennt, in dieser
wichtigen Frage die College» nicht überrumpeln will, sondern wünscht,
daß jeder nach seiner eigenen Ueberzeugung urtheilt, so läßt er nun nicht
gleich abstimmen, sondern schließt die Sitzung mit den Worten: „Ich bitte
nun die Herren, noch einmal zu Hause alles in Ruhe gründlich zu über-
legen. Uebermorgen wollen wir dann zur Abstimmung schreiten. Vorher
werde ich, da ich jede Uebereilung In einer so dissicilen Angelegenheit für
schädlich halte, meine Ansicht noch einmal kurz darlegen." In der nächsten
Sitzung wiederholt sich da»» genau derselbe Vorgang. Man geht wieder
aus einander, ohne daß eine Entscheidung getroffen ist, und mehr und
niehr befestigt sich im Ministerium die Ueberzeugung, daß die schwierige
Angelegenheit noch reiflicher überdacht und besprochen werden muß, ehe
man zu der entscheidenden Abstimmung schreitet.

So ist bei der ganzen Sache ein Ende überhaupt nicht abzusehen.
Man könnte aus etn neues Ministerium hoffen, das vielleicht weniger
gründlich und gewissenhaft arbeitet als das jetzige, aber die Staalsminister
sitzen jetzt unheimlich fest aus ihren Stühlen, und Lucanns geht schon
lange müßig. Ein Trost ist dabei, daß Herr Kirschner noch in ver-
hältnißmäßig jungen Jahre» sicht und sich einer guten Gesundheit erfreut.
So kann er ruhig noch einige Deccnnien abwarten, ob seine Bestätigung
erfolgt oder nicht.

Kino Weichstagssthung, wie ste noch nicht daizewcsen ist.

Präsident Gras Ballcstrem verliest die Urlaubsgesuche und regt die
Ertheilung von Urlaubskarlen an. Da keiner der Abwesenden widerspricht,
gilt sein Vorschlag alS angenommen.

Hierauf befürwortet

Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath (natl.) seinen Antrag, sür
das Goethe-Denkmal in Straßburg i. E. eine Beihilfe von 50 00NM.
zu bewilligen.

Abg. Dr. Schädler (Centrumps) hat Bedenken als guter Patriot,
einem Manne ein Denkmal zu setzen, der sich Napoleon nicht feindlich
gegenübcrstellte zu einer Zeit, wo der Rheinbund so segensreich sür die
Erhaltung des Deutsche» Reiches eingetreten ist. Wer könne dasür
bürgen, daß man nicht auch sür andere Dichterdenkmäler mit der gleichen
Forderung käme, z. B. sür den Verfasser der Ostereier oder für Conrad
von Boianden, die für das katholische Volk viel mehr gewirkt hätten
als der lockere Geselle, der so schlüpfrige Sachen geschrieben habe, daß cs
kaum einen jungen Kleriker gäbe, der sie nicht schon heimlich gelesen hätte.

Abg. Bebel (Socd.) kann dem Anträge nicht zustimmen, da es sich
um ein Denkmal sür einen Minister handele.

Abg Gras Klinckowstroem (cons.) ist sympathisch von dem Anträge
berührt, wird ihm aber nur zustimmen, wenn das Denkmal in Strasburg
in Westpreußcn zur Ausstellung gelangt und Goethes Bedeutung sür
die Landwirthschast genügend dargelegt ist. Als Sachverständiger möge
der Oberpräsident v. Köller, ein bewährter Literaturkenner, hinzugezogcn
werden.

Abg. Hilpert erklärt sich Im Namen des bayerischen Bauernbundes
gegen den Antrag, da in Goethes Werken sich keine Stelle Nachweisen
lasse, worin er sür billigere» Viehiransport auf den Eisenbahnen ein-
getrelc» sei. (Beifall im Centrumps.)

Abg. Graf Bernstorff (Reichsp.) macht seine Entscheidung abhängig
von dem Gutachicn der Jünglingsvereine und der Stadtmission.

Der Antrag wird in dem Erbbegräbniß der Budgetcommission
beigesetzt.

Kragen und Antworten.

Was braucht zum Krieg der kühnste Held
Nach einem Spruch, der nicht mehr jung?
Geld, Geld und wieder Geld:

Und was braucht zur Bestätigung
Ein Mann, erwählt durch Volkes Huld?
Geduld, Geduld, Geduld!

Was erlebt
die Laute Dost!

Ihr Pariser Correspondent,
der Zivnistensührer Dr. Nordau,
der die Absicht hat, alle ärmeren
Juden nach Palästina zu schassen
(wo sie vermuthllch durch Handel
unter einander sich ernähren sollen)
hat in Berlin eine Versammlung
berufen, in der er furchtbar aus
die „jüdischen Millionäre" loszog,
die, wie er sagte, „von der Höhe
ihrer Geldsäcke hohnlachend aus
die armen StamnieSgenossen herab-

Herr v. Kröcher ladet mit Vertretern aller Parteien die Mitglieder
des Abgeordnetenhauses zu Bierabenden ein, die alle vierzehn Tage In
der gemüthlichen Restauration des neuen Gebäudes abgehaltcn werden

Will nicht Graf Ballestrem dem Beispiel seines College» folgen
und auch im Reichstage solche Abende einsühren? Das wäre wohl das
beste Mittel, um dem Wirth, der jetzt nichts an den ReichSbolen verdient,
»nter die Arme zu greisen.

Noch einfacher wäre es, wenn im Reichstage in den Sitzungen selbst
große Fässer aufgelegt würden. Tann könnte Graf Ballestrem, aus die
Ertheilung des Ordnungsrufs verzichten und dasür bestimmen: „Der
Abg. N. trinkt drei — rcsp. sechs — Ganze pro xoena!" Auch könnte
er die jüngeren Mitglieder „spinnen" lassen. Durch diese Strafmittel
würde er das Haus bald gefügig machen, und selbst Liebknecht und
Singer würden ihm nicht mehr zu widersprechen wagen.

In dem neuen Abgeordnelenhause hat man noch nicht einen Ton
davon gehört, daß die Regierung das für die politischen Vereine bestehende
Verbot, mit einander in Verbindung zu treten, ausheben wollte. So
mangelhaft ist die Akustik des Sitzungssaales!
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