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Interessante '5'rocdTc. .3

I» der nächsten Zeit werden i» Berlin zwei Processe verhandelt
werden, die das allgenicinc Interesse i» einem ganz ungewöhnlichen
Matze in Anspruch nehme» dürste». Bei dem einen handelt cs sich um
eine Anklage gegen das Berliner Polizeipräsidium, bei dein andern Ivird
sich die „Krcuzzcitung" vor dem Richter zu verantworte» haben.

Wie man sich erinnert, hat der Abg. Bebel vor drei Wochen im
Reichstage gegen das Berliner Polizeipräsidium die schwere Anklage er-
hoben. cS wisse recht gut, datz in Berlin eine ganze Schar von Kindern
unter vierzehn Jahren von Scheusalen zur Unzucht verwendet werde; cs
kenne auch diese Scheusale genau, schreite aber nicht gegen sic ein. Das
Polizeipräsidium hat aus diese unerhörte Beschuldigung mit keiner Silbe
erwidert. Natürlich ist dies Schweigen nicht als ein Beweis dafür nn-
zusehen, datz den Behauptungen Bebels irgend ctivaS Lhatsächlichcs zu
Grunde liegt; c-S kann auch das Zeichen eines guten Gewissens sein, das
die niederträchtigste Verleumdung ruhig über sich ergehen lägt, iveil es
eine Verantwortung und Rechtfertigung unter seiner Würde erachtet.

Jetzt hat sich die Staatsanwaltschaft zu Berlin entschlossen, im all-
gemeinen Interesse Licht in die dunkle Sache zu bringen. Z» diesem
Zwecke hat sie formell gegen das Polizeipräsidium die Anklage wegen
schwerer Kuppelei erhoben und den Abg. Bebel als Zeugen vorgc-
fordcrt. Angcklagt wegen Beleidigung kann er ja nicht tverdcn, weil er
durch seine Immunität als Mitglied des Reichstags geschützt wird;
als Zeuge aber mutz er mit seinem Material herausrückcn und Nach-
weisen, ivas an seinen Behauptungen Wahres ist.

Der § 180 des- R.-St.-G.-B. bedroht denjenigen, der durch Ge-
währung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, mit
Gesang»»;: auch kann ans Verlust der bürgerliche» Ehrenrechte, sowie
ans Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. Kommt cS also,
was wir allerdings für ausgeschlossen halten, bei diesem Procetz z» einer
Vernrthcilung, so kann der interessante Fall cintrctcn, daß Polizeibeamte
unter Polizeiaufsicht gestellt iverde».

Bei dem Verfahren gegen die „Krcuzzcitung" handelt cs sich glück-
licher Weise nicht um eine so widerwärtige Sache, cs liegt nur eine
Klage wegen Beleidigung vor. Das Blatt hat vor einer Woche mehrere
ausführliche Artikel „Wider das Spiel" gebracht,, in denen eS sich
mit den schärfsten Worten gegen jedes Hazardspiel, specicll gegen den
verderblichen Einflutz der öffentlichen Spielbanken anssprach und in er-

greifender Weise das Unheil schilderte, das der leidenschaftliche Spieler
früher oder später über sich und seine Faniilie bringt.

An sich ist die Absicht des Blattes ja nur z» loben, obgleich mancher
seiner alten Abonnenten daheim ans seinem Rittergut oder in einem
Club der Reichshauptstadt den Kopf geschüttelt haben mag über die rück-
haltlose Berurtheilung einer Passion, die sonst für nobel und cavalicr-
mätzig gilt. Auffallend ist jedoch dabei, datz immer nur von dem skanda-
lösen Treibe» in Monte Carlo gesprochen wird, während es doch
i» Spaa, in Ostende und an anderen Orten ebenfalls Spielbanken
gibt, an denen cs nicht um ein Haar besser hergeht. Damit wird natür-
lich zugleich ei» vernichtendes Urtheil über den Fürsten von Monaco
gefällt. Er erscheint als ein nichtsnutziger, ehr- und gewissenloser Gesell,
der unbedenklich davon lebt, datz jährlich an seiner Bank sich Hunderte
von Menschen ruinircn und einige Dutzende davon gleich an Ort und
Stelle ihrem verlorenen Dasein ein Ende machen.

Nun ist aber eben dieser Fürst vor einige» Wochen Gast des Kaiser-
lichen Schlosses in Berlin gewesen. Man kann sich deshalb des Verdachts
nicht erwehren, daß die „Kreinzcitnug" cö ans eine schwere Beleidigung
des Hofniarschallanits und des Ministers des Königlichen Hauses ab-
gesehen hat, die ja sür die Zulassung dieses bedenklichen Subjects ver-
antwortlich sind. Obwohl aus beide mit keinem Wort hingedeutet wird,
geht doch ans der ganzen Darstellung klar hervor, das; sie sich ans den
Standpunkt hätte» stellen sollen: „Wenn dieser Mensch die Unverschämt-
heit besitzt, sich zum Besuch im Schlosse anzumelden, so wird ihm die
Thür vor der Nase zugeschlagen!" Und gerade diese raffinirtc Versteckt-
heit des Angriffs hat etivas Verletzendes, das bei einem offene» »nd
ehrlichen Aussprechen des Vorwurfs wegiallen Ivürde.

Da cs nun im öffentlichen Interesse liegt, datz nicht hohe Hofbcamte,
die vielleicht niemals etwas von der schändlichen Wirthschaft in Monte
Carlo gehört haben, in so gröblicher Weise angegriffen werden, so hat
die Staatsanwaltschaft aus eigenem Antriebe gegen die „Kreuzzeitung"
die Anklage wegen Beleidigung erhoben. Bei der Klarheit, mit der der
ganze Sachverhalt am Tage liegt, ist eine Vernrthcilung so gut wie
sicher, und in juristische» Kreisen zweifelt man nicht, datz der verantwort-
liche Rcdactcnr des Blattes einer empfindlichen Gefängnitzstrafe ent-
gegensieht.

Warnung.

Zu Ende ist jetzt am ersten April
Die Gnadenfrist gegangen:

Der letzte schwarze Mantel ward still
In den dunkeln Schrank gehangen.

-Dort hängt er versteckt, daß nimmermehr
Ein Auge ihn erschaue:

Es hat im ganzen deutschen Heer
Die Herrschaft jetzt der graue.

Du hast'?, o grauer Mantel, erreicht,

Doch laß das nicht stolz dich machen!

Schon morgen wirst ein Erlaß vielleicht
Auch dich zu den allen Sachen.

Am Stammtisch bei Krawutschke kam cs vor, daß Schnitze seinen
alten Freund Reumann Schasskops nannte. Als Neumann darüber
empört war und Schultz- aufforderte, diese» Ausdruck zurückzunehmen,
erklärte Schultze, das habe er nicht nöthig, denn „Schasskops" sei eine
„objektive Verdächtigung" und mithin ein parlamentarischer Ausdruck.

Darüber waren die Anwesende» verschiedener Ansicht. Es kam am
Stammtisch zum Wortstreit und darauf zu Thällichkcilen, wobei es viel
zerbrochene Biergläser und blutige Köpfe gab. Da Krawutschke den
Wunsch hat, daß dergleichen nicht wieder in seinem Lokal vorkommt, wäre
es ihm lieb, wenn eine competente Persönlichkeit, etwa der Herr Reichs-
lagspräsident, ein Verzeichniß derjenigen gröberen Schimpswörter bekannt
gäbe, die nur als objektive Verdächtigungen anzuschen sind und deshalb
nicht zum Hauen sühren dürfen.

Der erste Mai sällt In diesem Jahr aus einen Montag. Da haben
es die Socialdemokralen sehr bequem sür ihre Maifeier. Sie brauchen
nur den gewöhnlichen blauen Montag zu machen.

protestantischer Religionsunterricht.

Der bayerische Cullusminister ist von der „AugSb. Postzeitung'
ausgefordcrt worden, die protestantischen Religionslehrer anzuweisen, sich
im Unterricht der Polemik gegen Rom zu enthalten. Diesem !m milden
Geist der Versöhnung gehaltenen Vorschläge entsprich! das Entgegen-
kommen, das man auf katholischer Seite bei Behandlung der Rcsormalion
zu beweisen gewillt ist. Nachdem Herr Paasche die Geschichte der
Päpste einer entsprechenden Umarbeitung unterzogen hat, läßt uns Herr
Or. Schädlcr nunmehr einige Aushängebogen einer von ihm verfaßten
Nesormationsgeschichte zugehen, der wir einen kurzen Artikel über Luther
entnehmen.

Luther war ein guter Katholik, was schon daraus zu entnehmen
ist, daß er nach dem Heiligen seines GeburlsiagcS den Vornamen
Martin erhielt. Er wurde Mönch und Priester. Als solcher bemerkte
er, wie wenig sich die Leute um den Ablaß kümmerte», und er ver-
öffentlichte Sö Thesen, die die öffentliche Ausmerkjanikeit wieder aus den
Nutzen hinlenkten, die der Ablaß der Kirche gewährte. Durch unvor-
sichtiges Hantiren mit Zündhölzchen soll er in Willenberg eine päpstliche
Bulle verbrannt haben, was ihm sicher sehr leid gelhan hat. Die Fabel
von seiner Verhcirathung widerleg« sich von selbst durch den Umstand,
daß Mönche nicht heiralhen dürfen, lieber seine letzlcn Lebenslage ist
man im Unklaren. Er soll zuletzt in seinem Geburtsort EiSleben in
Beglcilung eines schwarzgekleidete» Herrn gesehen worden sein, der stark
hinkte und einen übel» Geruch hinlerließ. Der Geruch der Heiligkeit
wird es wohl nicht gewesen sein. Man darf wohl annehmen, daß Luther
schließlich den Lohn sür seine Thalen gesunden hat, de» die alleiiisellg-
»lachende Kirche sür derartige Fälle vorzusehen pflegt.

WaS haben die Leute eigentlich gegen den Zickzackkurs einzuwenden?
Geht nicht auch der Blitz im Zickzack?

Freilich thul er das, aber großen Nutzen stiftet er dadurch
auch nicht.
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