Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
sien schlecht bestellt. Glasmalerei hat sich gar nicht erhalten. Von der Wandmalerei ließe
sich als erstes bedeutendes Beispiel der Bilderzyklus im Wohnturm zu Boberröhrsdorf4"
anführen; doch hegt er schon um 1330, und trotz der sorgfältigen Wiederherstellung von
1938 ist der Bestand zu lückenhaft, als daß sich ein sicheres Urteil gewinnen ließe. Aber
selbst in der Bau- und Freiplastik, die seit dem zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts eine
so dichte Reihe eindrucksvoller Arbeiten hervorbringt, gibt es bis dahin nur einzelne ver-
sprengte Stücke. Nur die Geschichte des schlesischen Tumbengrabes5), vom (verlorenen)
Grabmal des Peter Wlast bis zur Pleureurstumba Heinrichs IV. (um 1295), läßt eine zu-
sammenhängende Entwicklungslinie erkennen: daß eine in Obersachsen geschulte Werk-
schar sich schließlich dem Schema der französischen Grabplastik unterwirft, aus dem sich
dann eine jüngere Gruppe von Denkmälern in bodenständigen Formen von hohem Reiz
entwickelt (Löwenberg, Heinrichau, Sagan). Angesichts dieser Knappheit der frühgotischen
Bestände dürfen die schlesischen Bilderhandschriften als besonders willkommene Ergänzung
gelten. Zwar ist auch ihre Zahl nicht groß. Aber sie spiegeln den Gang der Entwicklung
auf ihre Weise und erweitern den Gesichtskreis vor allem durch zwei Momente: durch die
Fülle ornamentaler Bildungen und bisweilen durch eine nicht gewöhnliche Ikonographie.
Hatte das Graduale I F 411 sich vom hastigen Temperament der sächsischen Provinzial-
schule ein wenig anstecken lassen (s. S. 26ff.), so scheint es auf den ersten Blick, als ob das
Antiphonar I F 401, um 1280/90 entstanden, diesen Geist auf die Spitze treibe. Wenn
aber wenigstens die letzte Initiale jener Handschrift ein neues Formgefühl ankündigte
(Abb. 60), so stehen wir hier einem Zwiespalt der Gesamterscheinung gegenüber, der nun
ganz klar werden läßt, daß diese Unruhe des Formtreibens den Durchbruch in eine neue
Stilsphäre bedeutet. Nicht nur daß sich die neun umfangreichen Bildinitialen dieses Chor-
buchs auf zwei Hände verteilen lassen, von denen die erste der älteren, die zweite der neuen
Anschauung zustrebt. Selbst in der ersten Gruppe wirkt Altes und Neues so durcheinander,
daß man hier — wie selten in der deutschen Buchmalerei — den Übergang vom romanischen
zum gotischen Stil mitten im Entstehen beobachten kann.
Dem ersten Maler gehören die Großbuchstaben zur Advents-, Weihnachts-, Epiphanias-,
Oster-, Verkündigungsantiphon und zum Geburtsfest Mariens (Abb. 29-35), und es ist er-
sichtlich, daß er die erregte Formensprache von I F 411 nach mancher Richtung steigert.
Jetzt genügt die schüchterne Andeutung Gottes im feurigen Busch nicht mehr. Eine Fülle
45 Rita Probst, Die mittelalterlichen Wandmalereien im Wohnturm von Boberröhrsdorf, Breslauer Dissertation 1938 (noch
ungedruckt).

31
 
Annotationen