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von Figurenszenen schiebt sich im Buchstabenleib umher, die den typologischen Gedanken
in voller Entfaltung zeigen: jene Gegenüberstellung einer neutestamentlichen Szene mit
sinnverwandten Geschehnissen des Alten Testaments, die ihre Wurzeln in den Evangelien
hat, die von der scholastischen Theologie zur tiefsinnigen Methode ausgebildet wurde und
die um und nach 1300 in den Bilderfolgen der Biblia Pauperum und des Speculum humanae
salvationis eine bleibende Gestalt annahm46. Wie jung dieser Versuch ist, geht daraus her-
vor, daß nur die auf ältester Überlieferung fußenden Parallelen ausgewählt sind. Die Ver-
kündigung an die Hirten und die Geburt Christi wird durch Moses vor dem brennenden
Busch und die grünende Rute Aarons symbolisiert (Abb. 29), die Auferstehung Christi durch
Simsons Aushebung der Tore von Gaza und durch Jonas, der aus dem Rachen des Wal-
fisches steigt, und Christus in der Vorhölle hat den Kampf Davids mit Goliath und Simsons
Kampf mit dem Löwen zur Seite (Abb. 33) — Parallelen, die zum Teil bis auf die Verse
des Gregor von Nazianz (f 390) und bis auf Tituli der Wandbilder im Mainzer Dom (nach
1000) zurückgehen. Mit diesem drängenden Geschehen verbindet sich ein beinahe bäuer-
liches Ungestüm des Ausdrucks. Wie im Fall knickt der vorderste König der Anbetung ins
Knie (Abb. 30), ungeschlacht wie ein Christopherus stützt sich der stehende Joseph im Ge-
burtsbilde auf seinen Stock (Abb. 29), und im Volkshaufen um Aaron glaubt man das er-
regte Murmeln des Erstaunens zu vernehmen. Wenn dann Maria im Geburtsbilde
das Kind mit bisher unbekannter Innigkeit umhalst, so ist die letzte Stufe im Ver-
hältnis von Mutter und Kind erreicht, das zu Beginn des Jahrhunderts mit gegenseitiger
Teilnahmslosigkeit eingesetzt hatte (vgl. Abb. 29 mit 9). Unnötig zu sagen, daß unter diesen
Umständen auch die beruhigte Bildordnung, die der Schlesier bisher geliebt hatte, ins
Wanken geraten ist. Selbst die Hauptfiguren der Hochzeit von Kana, Christus, Maria und
das Brautpaar, sind an die Seite gerückt, es schwankt von indifferenten Menschenhaufen in
den Massenszenen, ja sogar die Taufe Christi bequemt sich nicht zu der zentralen Ordnung,
die ihr bisher die Weihe gegeben hatte (Abb. 30). Voraussetzung für ein so gelöstes Stil-
bild ist die Zerrissenheit der Technik. Mutet sie zunächst wie Ungeschick an, so wird sie
bald als Grundlage einer neuen Stilbildung erkannt. Zum ersten Male tritt in farbigen Bildern
die Federzeichnung als Umrißlinie hervor, die freilich überall in Strichfragmente zerspringt,
wodurch der Ausdruck der Gesichter oft bis zur Grimasse entstellt wird. Aber gerade das
macht die Geburt einer neuen Formensprache möglich. Zwar wird noch mancher Mantel-
zipfel im Zackenschema festgehalten, und um den hegenden Jesse spannt sich das Gewand
46 Zur Geschichte der Typologie: W. L. Schreiber, Biblia Pauperum etc. Straßburg 19031 Lutz u. Perdrizet, Speculum
humanae salvationis etc., Mühlhausen-Leipzig 1907; H. Cornell, Biblia Pauperum, Stockholm 1935.

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