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Wo es irgend angeht, ziehen wir auch Werke aus seinem Kreise
heran.
Um die formalen Eigentümlichkeiten des Donaustiles zunächst
in großen Umrissen zu erkennen, legen wir Altdorfers Kupferstich-
Kreuzigung (B. 8) und den Dürerschen Stich von 1508 (B. 24)
nebeneinander. Was das Auge zu allererst als Verschiedenheit er-
faßt, ist die Raumwirkung. Dürer gibt ein paar Figuren in aus-
nahmsweise nicht symmetrischem, aber durchaus tektonischem Auf-
bau, dazu die Landschaft lediglich als Begleitung, Altdorfer schafft
ein gänzlich asymmetrisches Ensemble von Figuren, Bäumen und
anderen Landschaftsmotiven. Bezeichnend, daß bei ihm die Gruppe
der ums Kreuz Versammelten nicht einmal die untere Hälfte des
Blattes einnimmt, und daß Christus, hoch am Kreuze hängend,
ganz nach oben hinaufgeschoben ist. Der luftige, räumige Ein-
druck, der sich so ergeben muß, wird noch durch die Bevorzugung
des Zartblättrigen, Dünnstämmigen in den Bäumen, durch die Klein-
heit der landschaftlichen Motive und die flimmernde, aber voll-
kommen einheitliche Lichtwirkung unterstützt.
Dem an Altdorfer gewöhnten Auge muß die Dürersche Ge-
staltung alsbald archaisch erscheinen. Die Figuren stehen in einer
einzigen Schicht des Raumes, die vor dem Ganzen der Natur zu
liegen scheint. Auch Johannes, der ganz vorn gedacht ist, löst sich
nicht aus dem Übrigen heraus, nicht einmal, daß er energisch den
Kreuzesstamm überschnitte: nur an einer Stelle wagt eine Spitze
seines Gewandes den Stamm des Kreuzes zu berührend? Ganz im
Sinne primitiver Tektonik ist die linke Gruppe konzipiert. Zuerst
die liegende Maria, dann die huckende und knieende Frau und
endlich die stehende, alle vier in kurzen Abständen hintereinander;
das ist noch eine Anordnung, wie sie ein Holzschneider des 15.
Jahrhunderts gegeben haben würde, der das Motiv als plastische
Gruppe auszuführen gehabt hätte. Nicht immer hatte Dürer so
rein tektonisch gedacht; was seine frühen Werke als Fortschritt
gegen Schongauer charakterisiert hatte, war zum Teil gerade die
37 Solche Berührungen von Dingen, die in verschiedener Raumtiefe liegen, haben
deshalb immer etwas Fatales, weil das Auge aus dem Anstoßen in der Fläche unwillkür-
lich ein körperliches Anstoßen zu folgern geneigt ist.

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