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Zentral-Dombauverein <Köln> [Hrsg.]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1864 (Nr. 227-238)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1814#0003
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dürfte. Unter den „neuercn" Forfchcrn ist zweiftlSohne auch Herr W. Lübke
einbegriffen, zumal seine eigenen AuSdrücks fich oben wiedergegeben finden.
Und so mag denn eine Enlgegnung hier folgen, die demftlb.n jüngst, mit
Rückficht auf den in Redc stehenden Satz, in der Schrifli Eine kurze Rede
und eine lange Vorrede übec Kunst, von l>r. A. ReichenSperger (S. S5 u. flg.)
zu Theil geworden ist. Dieselbe lautet, wie folgt:

„Zn einer äusierst schmcichelhaften Charakteristik ihreS Mitarbeitcrs W.
Lübke bemerki u. A. die Westcrmann'sche MonalSschrift (Nr. 71), daß dcrftlbe,
„„nachdem cc mannigfach zuc Eckennlnifi der mitlelalterlichen Kunst in Deutsch-
land beigetragen, nunmehr bcmüht fti, die Principien dcr Antike und
der von ihr abzuleitenden Formen zur Geltung zu bringen!"" Darübcr, wie
letztcreS zu verstehen sei, hatte sich Herr Lübke felbst in einer scüheren Nummer
der MonatSschrisl (68) näher vernehmen lafien. Nachoem er vorerst die
„„schwärmerischen Gemüther"" zu persifliren gesucht, „„welche von der alt-
deutschen Baukunst mit den sehnsüchlig himmelanstrebcnden Spitzbogen
träumten,"" fährt er auf Seite 201 also tort: „„Dsr gothische Slyl ist keine
deutsche Eifindung, sondern ein französisches Fabricat, dec erste brillante
LuxuS-Artikel, mit welchem die Werkstätten von Paris daS folgsame
Abendland übecschwemmt haben, daS monumentale Dsnkzeichen von der
Alleinherischast dec französischen Mode in Europa."" Wsiter (S. 205)
theilt dann Herr Lübke der Welt mit, daß der Dom zu AmienS dsm Plane
dcS kölner DomeS zum Grunde liege, indem er mit gesperrter Schrist drucken
läßt: „„Dsr Plan zum kölner Dom war aber im Jahre 1248 gar leicht zu be-
kommcn, und dec brave Baumeister wußte recht gut, daß nichtS einfacher sei, alS
den Grundriß der Kathedrale von AmienS zu copiren und mil etwaS
vcrgrößertem Maßstabe und geringen Abweichungen zu wiederholen. Ksin
anderer unter den gleichzeitigen deutschen Meistern hat stch mit so wenig
KopfzerbcechenS seiner Aufgabe cntleoigt, keiner hat dabei seiner cigenen
Schöpftrkraft so oollständig cntsagt."" — Am Schluffe indeß fällt, was noch
brmerkl werden mag. Herr Lübke wieder vollständig auS der Rolle, indem
er zum Zrvecke der Verherrlichung Goethe's — da ihm gegenüber jcder Ver-
dacht ullramontaner Tendenzen schwindet — defftn „„schöncn Erguß übec
Meister Ecwin und sein Werk"" als den „„Sonnenstrahi eineS neuen TageS""
bezeichnet, „,,der über unftre deutschen Bauwerks ausging, und das Be-
wußlsein von ihrer Herrlichkcit in den Menschen lvieder iebendig machte.""
Man sieht, die imporiirte französische Fabrik-Modewaare ist gar schnell wieder
germanisirt und zu hohen Ehren gekommen. Versichert doch Herr Lübke
sogar zum Schluß, er habe den in Rede stehenden Artiksl geschrieben, um
„„jeneS Bewußtftin nach Kräften zu sördern und auSzubreiten."' Ob zu
solchem Zwecke ein Bespötteln deS kölnec Domes oder ein geringschätzigeS
Absprechen über denselben und seinen Baumeister gerade daS geeignelste Mittel
war, mag dem Urtheile dec Leser anheimgestellt dleiben. ES ist aber auch
in dec Tdat eine ganz absondcrliche „„Mode"", die vier Jahrhunderte hin-
durch den größten Theil der christlichen Welt beherrschen und der gesammten
Kunstthätigkeil, von der riesenhaften Kathedrale an biS zur schlichtesten
Bauecnhütte herab, so wie in allem, waS alle die unzähligen Bauwerke um-
schloffen, seinen Stempel aufdrncken konnte, die mit der tiefsten Gesetzmäßig-
keit den höchsten Grad der künstlerischen Frciheit verband, so daß sie nicht
bloß einer Sprache mit unendlich vielen Mundarten vergleichbar erscheint,
sonvern sozar in jedem der einzelnen Meistec sich auf daS entschiedenste in-
dividualisirte. Um ein fthr BeveutendeS nähsr wäre Herr Lübke der Wahr-
heii gekommen, wenn er die s. g. Renaiffance, zu deren Schutzpatron er sich
neuerdingS aufgkworfen hat, alS eine Mode bezeichnet hätte, die unter dem
Protectorate der HLfe und Hofschranzen allmählich die Traditionen ciner
echten VolkSkunst lockerle und brach, biS sie darauf selbst, und zwar nach
verhältnißmäßig sehr karzem Zeitverlaufe schon, im Dslirium einer weiter cnt-
wickslten Hofmode, deS Rococo-Zop'lhumcs, unterging. Nur ist vom praktischen
Standpuncte auS zu bemerken und gar fthr inS Auge zu fassen, daß die so
dringend empfohlene Nepristinirung der Renaiffancc-Mode sich keineSwegS
so leicht bewerkstelligen läßt, wie ihre ersts Einsührung, weil daS, lvaS die
Renaiffance so glänzend und verlockend erscheinen ließ, die technische Bravour
nämlich und der phaniastische Reichthum, ein Erbstück deS MittelalterS
war, in welchem oie damaligen Künstlec noch festen Fuß hatten, während
dermalen zugleich mit den principiellen BildungSgesetzen auch aller Sinn für
Tüchiigkei! und Echlheit, alle wirkliche Han)ftrltgkeit und Ociginalität so
gut wie auSgestorben sind. — Doch wir kehren noch füc einige Augenblicke
zu der mitgeiheilten Elucubration dcS Herrn Lübke zurück, der ftine vielen
Tendenz- und GssinnungSgenoffen kier repräsentiren mag, um, so wie wir
oben eine Probs von moderner FortschrittS-Polemik gegeir mißliebige Personen
gegeben haben, nun auch an einem kleinen Beispiele zu zeigen, mit welcher
Einficht und Loyälität auf dem sachlichen Gebiete diScutict wird. Jn so
weil Herr Lübke seinem Publicum, um daSselbe durch einen schlagenden Bs-
weiS hinfichtlich des fcanzösischen Ucsprungeg der Gothik zu übercaschen, mit
gesperrier Schrist die Enldeckung kund macht, daß die Kathedrale von AmienS
baS Vorbild des kölnec DomeS sei, so wiederholt er nur, wag Schreiber
dieseS schon vor 17 Zahren im Kölner Domblalte vom 30. November 1845
(Nr. 11) aufgestellt und in den folgenden Nummern gegen die Einsprache
deS Hercn Sulpiz Boifferöe sNr. 15) auSführlich begründet hatte. Falls
Hecr Lübke sich dazu herbeigelaffen hätte, dieft meine Darlegung und was
fich in der dcitlen AuSgabe meiner „Christlich-gecmanischen Baukunst" noch
zusätzlich auSgeführt findet, etwag näher anzusehen, so würde er alSbald sich
davon überzeugen können, dah tcotz jenec Thatsache und trotz der weiteren,
daß zuecst in dem Herzen deS heutigen Frankceich der golhische Styl seine
Wurzeln getrieben hat. derselbe dcnnoch ein Pröduct deS germanischen
GeniuS und der germanischen Race ist, welche, wie ihre RechtS-Jnstitutionen,
so auch ihre Kunstweise durch die Wucht ihreS GeisteS und idreS ArmeS in
dem erobecten Gallien, — ja, sporadisch selbst bis zu den Säulen deS Her-
culeS hin zur Herrschaft brachten, und kann ich hier nur wiederholt den
dsutschen Kunstliteraten den Rath erthetlen, bei den Franzosen in die
Schule zu gehen, um endlich der Bedeutung deS GermanenthumS im Be-
reiche deS nunmchrigen Lmpir» inne zu werden, da sie solcheS von ihren
LandSleuten nun einmal schlechterdingS nichtS lernen zu wollen scheinen.
Die Golhik gehöct unter die „„Qesta Üsl psr kravoos"". Hoffentlich werden
die vorstehenden Andeutnngen geeignet sein, wenigstenS einiger Mahen den-
jenigen zur Beruhigung zu gereichen, welche bisheran durch die Besorgniß,
dem Vorwurf, der Kranzosenthümelei zu ocrsallen, von der gothischen Archi-
tektur fich abgewandt haben."

Dem Vorstehendcn'.kann noch beigefügt werden, daß dec goihische Bau-
sthl in Gefahr steht, sörmlich herrenloS zu werden, fallS wic Deutschen ihn
von uns abweisen, da eS in Frankreich namentlick immer mehr zu allge-
meiner Anerkennung gelangt, daß er nicht französischen, sondern vielmchr
germanischen 11rsprung:S sei.

Bou der Reife.

ES ist erfceulich, wahrzunehmen, wie immer einmüthiger die Bruialität
verurtheilt wird, mit welcher man während der Periode deS ZopftS und deS
Afier-ClassiciSmuS mit den Meisterweiken der ckristlichen Kunst umsprang,
um etwaS von dem Seinigen oder auch gar nichtS an die Etelle zu setzen.
Allein jede Zeit hat ihre Gefahr; dermalen ist eS die Puristerei und daS
damit zusammenhangende Bestreben, AlleS nach einem Schema zurecht zu
machen, welcheS man sich in aprioristischer Weise constcuirt, odcr vermeint-
liche ZweckmäßigkeitS-Rücksichtcn in rücksichtSloftster Weise zur Geltung zu
bringen. Auf ciner eben beendeten Kunstreise hat Schreibec dieseS nur allzu
viele Belege sür das vorstehend Gesagte gesammelt, und glaubt ec EinigeS
davon vorläufiz kurz nolircn und der Oeffentlichkeit übergeben zu sollen.

Jn Münster (Wesifalen) befindct flch ein prächtiger Dom, dessen Lettner,
dec sogenannte Apostelgang, durch Noth und Kcieg. durch daS Wüthen der
Wiedertäufec und die MisLre deS 18. Jahrhundertg glücklich zu unS herüber-
gerettet worden ist. Derselbe ist ein wahreS Meisterwerk dec mittelalterlichen
Steinmetzkunst, welche darin gewissec Maßen ihren Schwanengesang ertönen
läßt; fast sollte man sagcn, der Bitdhauec habe durch die Feinheit und Ziec-
lichkeit ftiner Arbeit dem Goldschmiede den Rang streitig zu machen gesucht.
Wie ich an Oct und Stelle vernommen, ist dieftg Werk ernstlich bedroht,
und zwar um deßwillen: weil eg die freie AuSsicht in den Chor
hemme, — ein nicht neuerdingS entdeckter Umstand, der fceilich nicht be-
stritten werden kann, dec aber, fallS er maßzebend sein sollte, zu einer voll-
ständigen Umwälzung dec christlichen Kirchenbaukunst führen müßtc, da man
bekanntlich auS allen Seitenschiffen nicht auf den Haupt-Altar sehen kann,
waS aber die romanischen so wenig, als die gothisckcn Baumeister jemalS
abgehalten hat, ihre Kirchen mehrschiffig zu machen.*)

Jch hätte nicht glauben könncn, daß eS möglich wäre, Hand an den
Apostelgang zu legen, wcnn ich nicht durch den Augenschein davon überführt
worden wäre, wic mit der Zerstörung deSselben bereitS begonnen ist. An der
einen Seite fand ich daS halbe Eckgewölbe nebst dem entsprcchenden Theile der
Galerie mit ihrem Figurenwerk unv einen Theil der Wendeltreppe zerstört,
so wie die Miitelwand durchbrochen, zufolge welchec letzteren Operation ein
stgurenreicheS Altar-Reliefbild verschwunden sein soll. Da solchergestalt die
Vecbindung deS LettnerS in sich selbst und mit dem Pfeiler, auf welchen er
sich lehnt, unterbrochen ist, so steht zu besorgen, daß auch, wenn eine totale
Zerstörung nicht beabfichtigt sein sollie^*), dieselbe zufolge deg GefttzeS der
Schwere von selbst eintrcten wird. Möge dec Gefahr noch rechtzeiiig be-
gegnet werden!

Dem Vernehmen nach sollen in nächster Zeit von bedeutenden Kunstken-
nern Veröffentlichungen über die Lettnec und die Orgeln zu erwarten stehen;
hoffentlich wecden dieselben möglichst beschleunigt, da gerade in dieftn Be-
ziehungen so viele artistischc BegehungS- und UnlerlaffungS-Sünden vorzu-
kommen pflegen.

Schließlich noch die für alle Kunsifreunde gewiß erfreuliche Notiz, daß
zu Kidderich im Rheingau ein währcnd der Peiiode der Kunst-Barbarei
zerstöcter Lettner nach Änleitung von noch vorhanden gewesenen Bruchstücken
durch den Baumeister Wiethase von Köln reconstruirt ivorden ist unb binnen
Kurzem an Ort und Stelle wiedec aufgerichtet wcrden wird. Hoffen wir, daß
noch von recht vielen anderen Geiten ' her solche Nachrichten eingehen, da
der Lettner, wie dieS der große englische Architcki Pugin nachgewiesen hat,
ein Erfocderniß jeder vollrndeten Kirche darstellt. kl.

») Weit plausibler war jedenfallS der Gcund, auS welchem man während
der letzten Zahrhundecte die gemalten Fenster einschlug und sie durch
weiße erfttzte: die Kirche sei zum Beten da, hieß eS, und müffe daher
möglichst dafüc gesorgt werden, daß die fie besuchenden Andächtigen
in ihren AndachtSbüchern lesen können. Warum läßt man endlich
noch Lateinisch fingen, welcheS das große Publicum ja doch nicht
vrrsteht.^ (Anm. d. Red.-C.)

**) Die obengedachten Zerstörungen sollen dadurch motivict worden sein,
doß der durch die Entftrnung des ursprünglichen und die Ausrichtung
deS dermaligen LettnerS beschädigte Pfciler nuc mittels derselben wie-
der standfähig gemacht werden könne. Allein diese Standfähigkeit
hatte bereitS eine Probezeit von drei Jahrhunderten glücklich über-
dauert und kann jedenfallS keinen Grund dafür abgeben, daß der
Lettner nicht längst wieder hergestellt ist.
 
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