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Koepplin, Dieter
Cranachs Ehebildnis des Johannes Cuspinian von 1502: seine christlich-humanistische Bedeutung — 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.9938#0191
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185

VII. 5. Von der Naturverbundenheit zur Gottesnähe,
Stufen der Reinigung.

VII.5.a. Die göttliche Natur und die Inspiration des Dichters.

Auf Inspiration hofft niemand mehr als der Dichter. Cuspinian,
ein vom Kaiser ausgezeichneter poeta laureatus, hat sich A^°1|°12i
zum Patron der Dichtung und der ärztlichen Voraussicht erwählt.
Wenn auch Cuspinian nicht im schöpferischen Akt des Dichtens vor-
gestellt ist - es überwiegt doch der allgemeine Zustand der an-
dächtigen Kontemplation, und es hätte ohnehin einem Künstler um
15oo ferngelegen, ein barockes Bild des momentanen Affektes zu
geben -, so lohnt es sich doch zu hören, was der in Wien lebende
Humanist Joachim Vadian, ein Schüler von Celtis und von Cuspinian,
über die heilige Inspiration des Dichters zu sagen hat. Vadian
hat seine Lehre offenbar in Kenntnis der Schriften Ficinos for-
muliert (541). Wir zitieren ein Resümee aus Vadians Poetik von
1518 (542): "zur wahren Schöpfung weiht den Dichter doch erst die
göttliche Inspiration ("äfflatus"), der furor poeticus, der ihn
hinreisst, entrückt, aus sich selbst hinaus versetzt. ... Diese
Himmelskraft aber (543) ist ... dem heiligen Geiste gleichzuset-
zen, und zwischen Christen und Heiden besteht hierin kein Unter-
schied. Heiliger Geist spricht aus federn, der über die menschliche
Unvollkommenheit hinausgehoben das Göttliche oder das dem Göttli-
chen Verwandte anschaut und beschreibt: er wird zum prophetischen

(541) Nach freundlicher Mitteilung von Frau Dr. Verena Schenker-
Frei hat Vadian gleich Cuspinian die Erstausgabe von Ficinos
Traktat "De triplici vita" besessen (erhalten in der Vadiana
St. Gallenj vgl. B.Milt, Vadian als Arzt, 1959, lo Anm. 22).
Ausserdem hatte Vadian in seiner Bibliothek (Nr. 26) die
Ausgab« Basel 1529, Ficino "De vita libri tres" (Vadiana-
Bibliothek St. Gallen L 2898, nach freundlicher Auskunft

von Herrn Dr. Hans Fehrlin).

(542) Näf 1944, t, 289.

(543) Vgl. Celtis, Am. III lo, 33 ff. (Nowotny 1938, 219 ff.)
 
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