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Kranzbühler, Eugen; Heyl, Cornelius [Bearb.]; Illert, Friedrich M. [Bearb.]
Worms und die Heldensage: mit Beiträgen zur Siegel- und Wappenkunde, Münz- und Baugeschichte der Stadt — Worms: Stadtbibliothek, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.53263#0206
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AUSKLANG

Zwei Epochen zeichnen sich deutlich ab: die Hohenstaufenzeit und die Zeit der
deutschen Kaiser Friedrich III und Maximilian I. Die erste bringt die zahlreichen
Träger von Namen aus dem Nibelungenlied und anderen mittelalterlichen deutschen
Epen; der Drache oder Lindwurm erscheint während eines Jahrhunderts in mannig-
faltiger Form als Münzzeichen, ferner in den Siegeln von Wormser Familien, auch in
einzelnen Schmuckstücken der Architektur und als Stifterzeichen auf dem Reliquiar
der Martinskirche. Es ist die Zeit, von der wir auch sonst wissen, daß sie eine neue
Blüte der Heldensage, vor allem die Neufassung des Nibelungenliedes gebracht hat.
Für die zweite Periode ist bekannt, wie die wissenschaftlichen, künstlerischen und
literarischen Neigungen der beiden Kaiser allenthalben im deutschen Geistesleben
befruchtend gewirkt haben. In Worms drängen sich vier sicher beglaubigte Vorgänge:
1488 Aufdeckung von Siegfrieds Grab, 1491 Erwerb der Münze durch die Stadt (und
damit Zusammenhang mit dem Münzerdrachen), 1493 Ausmalung der Münzfassade
mit Bildern aus der Heldensage, 1499 Aufnahme des Lindwurms in das Stadtwappen,
in die knappe Spanne eines Dezenniums zusammen, Vorgänge, die aus einem Geist
geboren, von einer Linie getragen sind: dem Sinn für die wiedererwachte Heldensage.
Allerdings wissen wir nicht, wie diese Akte der Wiederbelebung auf weitere Kreise
der Bevölkerung gewirkt haben. Die das Zeitalter der Reformation bewegenden reli-
giösen Fragen mögen manches davon zeitweilig in den Hintergrund gedrängt haben.
Ganz verklungen ist der alte Sagenstoff in Worms wohl nie. Die am Marktplatz vor
den Augen des Volkes stehenden Bilder der Münze müssen die Erinnerungen daran
eindringlicher und sinnfälliger, als manche mündliche Erzählung oder das gedruckte
Wort wach gehalten haben. Beweise für dieses Fortleben sind die Mären von den
Siegfriedsreliquien, die man in Worms über den Untergang der mittelalterlichen Stadt
hinaus bis ins 18.Jahrhundert hinein und was den Siegfriedstein als letztes Überbleibsel
betrifft, bis zur Gegenwart zähe festgehalten haben. Sie scheinen zwar nicht von be-
sonders hohem Alter zu sein. Aber gerade dies zeigt, wie lebendig der Sagenstoff ge-
wesen sein muß, daß er solche späten Blüten, die jeder bekannten literarischen Grund-
lage entbehren — denn sie haben weder mit dem Nibelungenlied, noch mit dem Lied vom
Hürnen Seyfried, noch mit dem Volksbuch vom Gehörnten Siegfried etwas gemein —
als Triebe der örtlichen Phantasie neu aufschießen lassen konnte. Das Schweigen
des Rektors Zorn beweist nichts dagegen. Es ist die persönliche Einstellung eines
am humanistischen Ideal groß gewordenen Mannes. „Kaiser, Helden und andere
,Würmer‘!“ Wie fern muß diesem Wormser Scholarchen das Gegenständliche in
Nievergalts Malereien gelegen haben! Die von der Frankfurter Messe von 1569 nach
Worms gesandten 25 Exemplare des Liedes vom Hürnen Seyfrid sind ein beredtes
Zeugnis für das örtliche Interesse, nicht minder auch der Auszug „Von dem Helden
Buch vnd desselben Gedichts“, den ein noch nicht bekannter, aber vielleicht aus Hand-
schriftenvergleichung feststellbarer Wormser seiner Abschrift der Zornschen Stadt-
chronik um die Mitte des 17. Jahrhunderts vorangestellt hat. Die wiederholten Erwäh-
nungen der Malereien an der Münze bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts beweisen
zwar keineswegs alle Vertrautheit mit ihrem literarischen Gehalt; sie können auch so
gedeutet werden, daß man diese Darstellungen als eine Kuriosität, wie man sie in
anderen deutschen Städten nicht vorfand, bestaunt habe. Doch beweist gerade der

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