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Der Kreis: Zeitschrift für künstlerische Kultur ; Organ der Hamburger Bühne — 8.1931

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Nr. 2 (Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43624#0148
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des 13 Seiten langen Textes, der von allem etwas weiß, ohne doch etwas
Genaues zu wissen, der über alles ein bißchen redet, ohne daß man eine ein-
zige Einsicht dahinter spürt, das Durcheinander von Geschichten, unter denen
die Geschichte des Kriegsausbruchs an unfreiwilliger Komik nicht die schlech-
teste ist („Kurz vor Anfang des Gottesdienstes bat ich meinen Kantor Bertram,
seinen Chor ganz nach vorn an die Brüstung zu stellen und mit voller Kraft
und Begeisterung zusammen mit der Orgel als erstes Lied ,Es braust ein Ruf
wie Donnerhall’ zu singen“) — dies ganze Durcheinander wäre wahrlich eines
Bälgetreters eher würdig als eines Organisten an einer so verantwortungs-
vollen Stelle.
Was aber würde man von einem Bälgetreter sagen, der folgendes von sich
berichtete? „Eine besondere Freude hatte ich an den Motettenabenden, wenn
ich sah, daß viele Zuhörer aus dem jetzt abgebrochenen Alt-Hamburg zugegen
waren, Leute aus denjenigen Kreisen, welche sich nie eine Konzertkarte kaufen
konnten und auch wohl sonst nie eine Kirche betraten. Eines Tages kam der
Kirchendiener zu mir mit der Nachricht, daß man sich weigerte, mein Plakat
(die Ankündigung einer Motette) in einen kleinen Laden der Springeltwiete
aufzunehmen. Ich ging mit dem Plakat zur Inhaberin des betreffenden Geschäfts
und bat, als Nachbar doch meine Einladung aushängen zu wollen, zumal der
Eintritt ganz frei sei und ein Programm kostenlos dazugegeben würde. Vor dem
Ladentisch stand eine Dirne, lachte höhnisch und fragte, ob sie auch hin-
kommen dürfe. In aller Ruhe sagte ich: „Ja, für Sie gebe ich diese musikalische
Stunde in der Kirche. Kommen Sie, Sie dürfen sich dort im Gotteshause eine
Stunde mit allen übrigen Zuhörern gleichberechtigt fühlen,“ Da ging das
Mädchen, ohne ein Wort weiter zu sagen, still hinaus. Der Küster, Diakon
Weber, sagte mir am folgenden Tage, es seien mehrere Mädchen aus der
betreffenden Straße in der Motette gewesen. Wenn ich auch leider annehmen
muß, daß der Eindruck der Motette kein allzu nachhaltiger gewesen ist, so war
ich trotzdem meinem Gott für diesen Abend besonders dankbar." Was würde
man — so fragen wir — mit einem Bälgetreter machen, der so etwas von sich
berichtete? Der die — wir wollen sagen — Nächstenliebe hat, sein Plakat als
Trostesschein im Dunkel der Schande auszuhängen; der die — wir wollen
sagen — Unhöflichkeit begeht, einem Mitmenschen die Gleichberechtigung ab-
zusprechen; der die — wir wollen sagen — Abfuhr erlebt, von diesem Mit-
menschen wortlos stehengelassen zu werden; der die — wir wollen sagen —
Genugtuung genießt, dennoch eines zahlreichen Besuches gewürdigt zu sein;
der die — wir wollen sagen — Ehrfurchtlosigkeit besitzt, allerdings an keinen
nachhaltigen Eindruck zu glauben; und der die — wir müssen sagen — Scham-
losigkeit besitzt, für „diesen Abend" seinem Gott „besonders dankbar" zu sein!
Was würde man mit einem solchen Bälgetreter machen? Wir denken, man
würde ihn wegen unchristlichen und unmenschlichen Betragens aus der Kirche
und aus der menschlichen Gesellschaft verjagen. Aber wir sind sicher: Karl
Mehrkens wird dergleichen nicht geschehen; ihm nicht, der obendrein sein
Büchlein mit einer Widmung an die Jakobigemeinde, ihren Vorsitzenden und
ihr geistliches Oberhaupt beginnt und mit einem Lob des Herrn beschließt.
Rudolf Maack

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