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Kugler, Franz
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 2) — Stuttgart, 1858

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https://doi.org/10.11588/diglit.30032#0430

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410

B. Uie Kunst des gotliischen Styles.

fand, und für die Werthschätzung, welche ihr dort zu Theil
wurde. England bezog von dort, wie aus urlcundlichen Nach-
richten erhellt, ähnliche Arbeiten für denselben Bedarf : das iu
der AYestminsterkirche zu London befindliche Grabmonument
des William von Yalence (gest. 1296), glei.chfalls aus vergolde-
tem und mit Emailschmuck reichlich versehenen Kupfer gear-
beitet, gilt für ein Werk französischer Technik. In Deutsch-
land ist der Reliquienschrein der h. Elisabeth in ihrer Kirche
zu Marburg ein glänzendes Werk ähnlicher Gattung, so starr
im Figürlichen, wie graziös in den Emailornamenten.

Ein merkwürdiges Stück , tvelches eine anderweitige Verwen-
dung der dekorativen Mittel darlegt, ist ein Grabstein in St.
Castor zu Coblenz, mit der Inschrift „Scolasticus“. Er liat in
der Darstellung der Gestalt, welche noch die starren Tjpen
romanischer Bilduno; bewahrt, die Reste eines wachsartigen Far-
beniiberzuges. Die architektonische Umfassung ist frühgothisch.

Der unbefangenere Anschluss an die zeitthümlichen Stylfor-
men zeigt sich in ehernen Grabtafeln, deren Darstellung einfach
aus gravirter Zeichnung besteht. Sie kommen gegenwärtig aller-
dings erst in vereinzelten Beispielen vor. AIs ein derartiges
Werk deutscher Ivunst, schon aus der Mitte des Jahrhunderts,
wird die Grabtafel des Bischofes Yvo im Dome zu Verden er-
wähnt. 1

Dritte Periode.

Die dritte Periode der Gothik, die Zeit des 14. Jahrhun-
derts, enthält die Mittelstufe der gothischen Stylentfaltungen.
Der künstlerische Geist findet in der strengen Erhabenheit, welche
die grossen Werke des 13. Jahrhunderts zur Erscheinung ge-
bracht hatten, keine Befriedigung mehr ; es treibt ihn, das an
diesen entwickelte System mit flüssigerem Leben zu erfüllen, die
Gesetze desselben bis zu ihren letzten Consequenzen hinauszu-
führen. Das Wunder des Systems vollendet sich; das ecstatische
Moment koinmt zum lebhaften und schwungvollen Ausdrucke,
aber in gleichem Maasse auch das Moment des Calciils, darauf
jenes Wunder sich gründete. Der nothwendige, aus dem innern
Princip sich ergebende Fortschritt nimmt zumeist, ebenso noth-
wendig, ebenso aus dem Princip heraus, ein typisch conventionelles
Gepräge an; der fliissigen Behandlung der Form tritt , ebenfalls
schon mit dein Anspruch auf Geltung, eine andre von mehr
niichterner Trockenheit gegeniiber. Zugleich gewinnt das indivi-
duelle Vermögen einen umfassenderen Spielrauin ; es bewegt sich

1 Schnaase, a. a. O., S. (i85.
 
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