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ULLI VETTER, HOHENASCHAU Bildstickerei „Vertreibung"

Aus „ALEXANDER KOCH, Das Neue Kunsthandwerk in Deutschland und Österreich"

mit ebensoviel naiv empfänglicher Aufnahmefähigkeit
wie feiner Bildung das künstlerisch Große empfunden
wie erkannt hat. Dabei soll nicht verkannt werden,
daß die Extreme beider Einstellungen: das phraseolo-
gische, dem Tag dienende, mit Hyperbeln und terminis
technicis beladene Kunstliteratentum der Vertiefung
des künstlerischen Schaffens in den Psychen der Träger
des Kulturellen ebenso schädlich ist, wie unerleuchtetes,
ja hysterisch „naives" Schwärmen und Schmachten für
diese oder jene „Richtung"! . . .

Sehr bedingten Beifall nur dürfte R. Riemerschmids
Charakterisierung des „Stils der Zukunft" finden.
„Für unsere Zukunft, und damit auch für ihren Stil,
will's mir so scheinen, als wenn das Mannhafte das
eigentliche Kennzeichen werden müßte." Die großen
und reifen Perioden der Antike, des Mittelalters und
gar der Renaissance sind für Riemerschmid nur die
kindlichen und jugendlichen Vorläufer zum „Stren-
geren, dem der Tat zugewandten Mannesalter". Wenn
wir auf die Ausdrucksform der Gegenwart das Wort
Stil, als die aus einer großen Gemeinschaft wachsende
und darum charakteristische Art die Umwelt zu be-

trachten und in Wissenschaft*
liehen, literarischen undkünst-
lerischen Erkenntnissen bzw.
Bekenntnissen wiederzuge-
ben, anwenden wollen, so
liegt er, wie bereits gesagt,
in dem Bestreben der Ge-
genwart, das Wesentliche
einer Sinnenerscheinung zu
erfassen und in begriffsknap-
pen Formen zum Ausdruck
zu bringen. Über „Werk
und Gemeinschaft" schreibt
Georg Burekhardt: „Das
gute Werk im Bereich jeder
menschlichen Kunsttätigkeit
ist dasjenige, das aus starker
Persönlichkeit geboren zu-
gleich am stärksten dem „an-
deren"dient. Es muß dasBe-
wußtsein geweckt werden:
was ich für mich arbeite, ist
zugleich für die Gemeinschaft
und was ich für die Gemein-
Schaft leiste, ist zugleich auch
für mich und innerlidi am be-
friedigendsten für mich selbst
getan. Es muß ein Gefühl
dafür gefunden werden, daß
schon irgend eine Musik-
weise von Bedeutung ist für das ganze Gemeinwesen:
zersetzend oder aufbauend, gemeingefährlich oder ge-
meinschaftfördernd. Schlechte Werke müssen erkannt
werden als Werke der Unordnung, als Ursachen des
Verlustes an wahrem Leben und wahrer Freude. Gute
Werke sind immer zugleich die aus vollem Menschen^
tum hervorgegangenen, mit Liebe zum Menschen er-
fülltenWerke. Einstellung auf das vollkommeneWerk
als Ziel ist zu lehren von Kindheit auf und eine neue hei-
lige Ehrfurcht vor dem guten, vollkommenen Werk".

Neben diesen allgemeinen Essais, die wie Blitz-
lichter verstreut, aufleuchten, finden sich spezielle Er-
örterungen über verschiedene Gebiete des „Neuen
Kunsthandwerks" über deren Technik, formale Pro^
bleme und dergl. Es ist nun Sache der natürlichen Ent-
wicklung und des guten Willens, aller, denen ihr Beruf
zur Pflicht macht, an dem Auf= und Ausbau des kunst-
handwerklichen Lebens mitzuarbeiten, die Ergebnisse
der Deutschen Gewerbeschau zu verinnerlichen und in
einem geistig-künstlerischen Seelenprozeß zu durchs
leben. Das Buch von Alexander Koch ist auf diesem
Weg der denkbar beste und gründlichste Führer. F.

Kunst und Handwerk. Jahrg. 1923. 1. und 2. Vierteljahrsheft

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