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näherhin der altmykenischen und zum Teil ägyptischen
Formensprache, die sidi, wie aus dem Gesagten her»
vorgeht, schon seit dem frühen Mittelalter auch im
Abendland einer großen Beliebtheit erfreut hat, weil
sie im Charakter des Materials begründet ist.

Um die Wende von Renaissance und Barock setzte
eine dritte Blüte der Elfenbeinplastik ein, die nachMei»
nung der Kunstgelehrten durch die neuerschlossenen
Handelsverbindungen
mit Afrika und Indien
und die damit verstärkte
undsystematisierteEin»
fuhr des Elfenbeins her»
vorgerufen worden ist.
Wiedem auch sei, jeden»
falls ergriff das Elfenbein
mit einer fast epidemi»
sehen Plötzlichkeit und
Ausdehnung fast alles,
was künstlerisch veredeh
bar erschien: Prunkende
Humpen, schlanke Kan-
nen, bauchige Pokale,ele*
gante Fächer, eine stolze
Garnitur Geschirr und
Besteck wählten ebenso
das Elfenbein als ihr
kostbares Äußeres, wie
das ganze Kriegsarsenal
und das ganze Waid»
werk seine mordenden
Waffen mit dem srhim»
mernden Weiß milderte.
Gewehrschäfte, Pulver»
hörner, Armbrüste wur»
den mit Elfenbein in»
krustiert, ganze Grup»
pen von Putten, Statuen
und Statuetten mit uner»
schöpflichenGestaltungs»
fülle undSchaffensfreude
entworfen und in man»
dien Gegenden sah es
aus, als müsse halb Ära»
bia in Bewegung kommen, um das nötige Material zu
liefern. Dem künstlerischen Gehalt kam, wie Bergner
sagt, „es hödilichst zu gute, daß die Produktion niemals
zunftmäßig eingeengt wurde, sondern den Charakter
einer Liebhaberkunst behielt. Maler, Bildhauer, Gold»
schmiede arbeiteten gelegentlich, in geistigen Feier»
stunden in Elfenbein. Selbst Fürsten füllten ihre Muße
mit den hochbeliebten Spielereien und Künsteleien an

PEDUM mit durchbrochenen Rokokoornamenten. Monogramm I.T
39 x 20 cm. Bayer. Nationalmuseum

der Drehbank aus, und spornten durch leidenschaft»
liehen Sammeleifer die Lust und Freudigkeit begabter
Kleinkünstler. Es ist nicht zu verkennen, wieviel das
Elfenbein dieser Zeit hierbei technisch und stilistisch
gewann. Vor allem wurden die Qualitäten des Mate»
rials, der Farbe in einer früher nicht geahnten Weise
erkannt und ausgebeutet. Der Kultus des Nackten,
der Reiz des warmen, weihen Fleisches, die Poesie der

menschlichen Haut hat
hierin eine Verklärung
gefunden, wie sie eben
gleichzeitig die berau»
schendenFarbengedichte
von Rubens durchklingt."
Eine gewaltige Fülle
von Künstlern widmete
sich dieser so beliebten
Kunst. Aber es war nicht
mehr allein die Elfen»
beinplastik, sondern die
Elfenbeindreherei, über
die im folgendem Ab»
schnitt zu handeln sein
wird. DiePlastikhieltsich
an die große Formen der
gleichzeitigen Kunst, vor
allem an Figürliches. Be»
kannt sind die Arbeiten
Angermairs inMünchen,
Burrers in Stuttgart, des»
sen Namen in den fürst»
liehen Landschreiberei»
rechnungen zu Stuttgart
oft genug vorkommt und
zeigt, welch hohe Schät»
zung die Elfenbeintech»
nik am Stuttgarter Hof
genossen hat. Über ganz
Süddeutschland war die
Kunst wie ein Netz
ausgebreitet und klei»
nere Städte, die in der
Kunstgeschichte sonst
nicht verzeichnet sind,
haben durch diese Kunst sidi einen nicht unbedeuten»
den Namen gemacht, so Geislingen, wo noch am Ende
des 18. Jahrhunderts 36 Meister am Werke waren.
In Norddeutschland war Dresden führend und Wien
blieb selbstverständlich nicht zurück. Aus dieser letzten
Blütezeit des Elfenbeins haben wir ein Pedum abge»
bildet, das sich im Bayerischen Nationalmuseum be»
findet, ein fast überschwenglich formfreudiges Werk

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