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Die Kunde — N.F.10.1959

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Heft 3-4
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Hamm, F.: Vom ältesten Wissen um Nordwestdeutschlands Natur
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https://doi.org/10.11588/diglit.71587#0332

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Eumaios von seiner Entführung als Kind vielleicht eine mögliche Beziehung
zwischen Nord und Süd. Bezeichnenderweise bringt da ein Schiff der Übersee-
handel treibenden Phönizier „ein goldnes Geschmeide, besetzt mit köstlichem
Bernstein" nach Syria. Auch der Freier Eurymachos schenkt der Penelope ein
„köstliches Halsgeschmeide, lauteres Gold, mit Ambra besetzt". Da es aber
ein sehr bernsteinähnliches fossiles Harz aus der Tertiärzeit auch auf Sizilien
gibt, den nach einem Flüßchen am Südfuße des Ätnas genannten, seltenen
„Simetit", brauchte der von Homer erwähnte nicht unbedingt echter nordi-
scher Bernstein gewesen zu sein. Auf den Norden könnte aber noch eine
andere Stelle der Odyssee hinweisen, und zwar die den Phäaken gebotene
Erzählung des Odysseus über seine Abenteuer im Lande der Lästrygonen,
wo der abends sein Vieh heimtreibende Hirt mit Zuruf dem ihm morgens be-
gegnenden, austreibenden Genossen grüßt. Diese Stelle deuten die Altsprach-
ler als eine frühe Kenntnis der Griechen von den kurzen, nordischen Nächten,
die nördlich des Polarkreises z. Z. der Sommersonnenwende ja ganz schwin-
den und etwas weiter südlich durch sehr lange Dämmerungen infolge des dann
kleinen Nachtbogens unseres Tagesgestirns nur kurz sind. Solche bei klarem
Himmel hellen Juninächte kennen auch unsere Küstenbewohner, wobei unter
Umständen der eintreibende Hirt dem austreibenden wohl einmal begegnet
sein könnte. Wenn diese verschwommenen und unsicheren Angaben auch
schon die Fühlung mit Kenntnissen über nördliche Gegenden ahnen lassen,
so dauerte es doch noch geraume Zeit, bis daraus im Süden wirkliches Wissen
wurde.
Lange hört man nämlich nichts wieder vom Norden, bis der griechische
„Vater der Geschichte" und Forschungsreisende Herodot im 5. vorchrist-
lichen Jahrhundert schreibt: „Uber den Norden Europas vermag ich keinerlei
bestimmte Angaben zu machen"... „Freilich Zinn und Bernstein kommen
von jenen äußersten Enden der Erde her".
Zinnerz aus Cornwall und der Bretagne ging in der Frühzeit durch Gallien
auf dem Landwege sowohl an den Golf von Cadiz nach „Tartessos", wo es die
Phönizier auf Schiffe umschlugen, als auch in neun Tagen von der Bretagne
nach „Massilia", einer phokäischen Griechensiedlung aus dem 6. Jh., dem
heutigen Marseille. Um den gallischen Zinnzwischenhandel und die keltische
Uberlandfracht des Nordseebernsteins auszuschalten, versuchten die Massi-
lioten, ihren Seeverkehr bis zu den Gewinnungsländern selbst auszudehnen.
Darum schickten sie um 350 vor Chr. ihren seefahrenden Geographen Pytheas
dahin auf Erkundung. Er segelte von der Rhonemündung zwischen Festland
und Balearen hindurch nach den „Säulen des Herkules" (Gibraltar), umschiffte
Kap S. Vincent wie Kap Finisterre und gelangte vor der Biskaya herlaufend
zur Insel „Uxisame" (Ouessant) an der Spitze der zinnliefernden bretonischen
Halbinsel. Von da den Kanal durchquerend strebte er zum zinnreichen Corn-
wall und vermutlich weiter durch die irische See nach den Orkneyinseln Nord-
schottlands. Ein uralter Seeweg brachte ihn von dort nach „Thule" (Nor-
wegen), über dem in langen Winternächten die bunten Bänder der Nord-
lichter leuchteten und dessen Küste ihm etwa zwischen Nidaros und Bergen
bekannt wurde mit ihren zur Sommerzeit kurzen Nächten bei langen Tagen L

1 Laut Strabo erwähnt Pytheas für Thule den Hirseanbau, der später für die nordi-
schen Länder seit der Jungsteinzeit nachgewiesen wurde, aber infolge einer um
rd. 500 vor Chr. beginnenden Klimaverschlechterung, die unserem niedersächsischen
Tieflande den Wechsel vom Weizen- zum Roggenanbau brachte, südwärts zurückwich.

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