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Kunstblatt.
Donnerstag, den 2. Aanuar 1845.
Weber die neueren Erwerbungen der Gemäide-
gallerie des königlichen Museums zu Derlin.
Von Professor G. F. Waagen.
In der Ueberzeugung, daß es den Kunstfreunden
Deutschlands angenehm seyn wird, zu erfahren, mit
welcher warmen Kunstliebe Se. Maj. der König Bedacht
nimmt, die Schätze der Gemäldegallerie des Mu-
seums zu vermehren, giebt Referent in Folgendem eine
kurze Beschreibung und Würdigung der Bilder, welche
innerhalb der letzten drei Jahre für dieselbe erworben
worden sind. Die Anzahl derselben beläuft sich auf
nicht weniger als 116. Mit wenigen Ausnahmen gehö-
ren aber die Gemälde den Epochen der völlig ausgebil-
deten Kunst des lg. und 17. Jahrhunderts an, so daß
dadurch die Masse der Bilder, welche nicht blos für den
mehrseitig gebildeten Kunstfreund, sondern für Jeder-
mann anziehend sind, einen so namhaften Zuwachs er-
halten hat, daß dieselbe gegenwärtig volle zwei Drit-
theilc der ganzen Gallerie einnimmt.
Um aber in der Ersten Abtheilung der verschiedenen
italienischen und der mehr oder minder davon abhän-
gigen spanischen und französischen Schulen, die aus jenen
Epochen vorhandenen Bilder mehr als bisher in ihrer
Gesamintheit geltend zu machen, ist gelegentlich der
Einordnung der neuen Erwerbungen eine Veränderung
in der Aufstellung beliebt worden. Anstatt nämlich
wie früher eine jede der italienischen Schulen von ihren
älteren Formen bis zu ihrer höchsten Entwicklung sich
ununterbrochen folgen zu lassen, sind nunmehr alle Bil-
der der italienischen Schulen, welche derselben Epoche
angehören, zusainmengehaltcn, so daß die Gemälde der
venezianischen, lombardischen, toscanischen und bvlog-
nesischen Schule, welche die Gallerie aus dem 15. Jahr-
hundert, als der Bildungsepoche, aus der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, als der Epoche der höchsten Blüthe,
aus der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts, als der
Epoche der Abnahme, endlich aus dem 17. Jahrhundert,
als der Epoche der Nachblüthe und des Verfalls, besitzt,
vier große Massen bilden, welchen die wenigen vorhan-
denen Bilder aus der genuesischen und neapolitanischen
Schule an den gehörigen Stellen eingereiht worden sind.
Für solche Besucher der Gallerie, welche nun einmal
an den früheren Kunstformeu kein Gefallen finden, ent-
steht daraus der Vvrtheil, daß sie bei dem Beschauen
der Gemälde in der Reihenfolge nicht wie bisher wieder-
holentlich auf dergleichen Formen stoßen, sondern, in-
dem sie gleich bei dem Eintritt in der Gallerie mit dem
ersten Raum zur Rechten anfangen, jene vollendeten
Kunstformen des 16. und 17. Jahrhunderts in ununter-
brochener Folge betrachten können. Wenn aber der mehr-
seitig gebildete Kunstfreund durch diese Art der Anord-
nung einerseits den Dortheil verliert, jede Schule von
ihren älteren Formen bis zu ihrer höchsten Entwicklung
im unmittelbaren Zusammenhang zu überblicken, so ge-
währt sie ihm andererseits dafür durch die bequeme Ver-
gleichung der gleichzeitigen Formen der verschiedenen
Schulen einen erheblichen Ersatz. Außerdem aber kommt
der bei der ursprünglichen Anordnung der Gallerie be-
folgte Grundgedanke, die verschiedenen Schulen nach
der unter ihnen bestehenden Verwandtschaft folgen zu
lassen, jetzt erst auf eine ungleich feinere und harmoni-
schere Art zur Geltung. Während nämlich früher da-
durch, daß, wo die eine Schule in den Formen ihrer
höchsten Vollendung aufhörte, die darauf folgende wie-
der mit ihren älteren Formen anfing, unerachtet der
Verwandtschaft beider Schulen wegen des großen Unter-
schiedes der Epochen, womit sie aneinander gränzten,
dennoch ein auffallender Gegensatz statt fand, berühren
sich gegenwärtig die verwandten Schulen nur in ihren
gleichzeitigen Epochen.
Wie nämlich die älteren Venezianer einerseits mit
den älteren Niederländern gränzen, mit denen sie histo-
risch durch Antonello von Messina, den Schüler
des van Eyck und den Lehrer des Giovanni Bel-
I lini, so wie der ganzen, naturalistischen Richtung nach
Kunstblatt.
Donnerstag, den 2. Aanuar 1845.
Weber die neueren Erwerbungen der Gemäide-
gallerie des königlichen Museums zu Derlin.
Von Professor G. F. Waagen.
In der Ueberzeugung, daß es den Kunstfreunden
Deutschlands angenehm seyn wird, zu erfahren, mit
welcher warmen Kunstliebe Se. Maj. der König Bedacht
nimmt, die Schätze der Gemäldegallerie des Mu-
seums zu vermehren, giebt Referent in Folgendem eine
kurze Beschreibung und Würdigung der Bilder, welche
innerhalb der letzten drei Jahre für dieselbe erworben
worden sind. Die Anzahl derselben beläuft sich auf
nicht weniger als 116. Mit wenigen Ausnahmen gehö-
ren aber die Gemälde den Epochen der völlig ausgebil-
deten Kunst des lg. und 17. Jahrhunderts an, so daß
dadurch die Masse der Bilder, welche nicht blos für den
mehrseitig gebildeten Kunstfreund, sondern für Jeder-
mann anziehend sind, einen so namhaften Zuwachs er-
halten hat, daß dieselbe gegenwärtig volle zwei Drit-
theilc der ganzen Gallerie einnimmt.
Um aber in der Ersten Abtheilung der verschiedenen
italienischen und der mehr oder minder davon abhän-
gigen spanischen und französischen Schulen, die aus jenen
Epochen vorhandenen Bilder mehr als bisher in ihrer
Gesamintheit geltend zu machen, ist gelegentlich der
Einordnung der neuen Erwerbungen eine Veränderung
in der Aufstellung beliebt worden. Anstatt nämlich
wie früher eine jede der italienischen Schulen von ihren
älteren Formen bis zu ihrer höchsten Entwicklung sich
ununterbrochen folgen zu lassen, sind nunmehr alle Bil-
der der italienischen Schulen, welche derselben Epoche
angehören, zusainmengehaltcn, so daß die Gemälde der
venezianischen, lombardischen, toscanischen und bvlog-
nesischen Schule, welche die Gallerie aus dem 15. Jahr-
hundert, als der Bildungsepoche, aus der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts, als der Epoche der höchsten Blüthe,
aus der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts, als der
Epoche der Abnahme, endlich aus dem 17. Jahrhundert,
als der Epoche der Nachblüthe und des Verfalls, besitzt,
vier große Massen bilden, welchen die wenigen vorhan-
denen Bilder aus der genuesischen und neapolitanischen
Schule an den gehörigen Stellen eingereiht worden sind.
Für solche Besucher der Gallerie, welche nun einmal
an den früheren Kunstformeu kein Gefallen finden, ent-
steht daraus der Vvrtheil, daß sie bei dem Beschauen
der Gemälde in der Reihenfolge nicht wie bisher wieder-
holentlich auf dergleichen Formen stoßen, sondern, in-
dem sie gleich bei dem Eintritt in der Gallerie mit dem
ersten Raum zur Rechten anfangen, jene vollendeten
Kunstformen des 16. und 17. Jahrhunderts in ununter-
brochener Folge betrachten können. Wenn aber der mehr-
seitig gebildete Kunstfreund durch diese Art der Anord-
nung einerseits den Dortheil verliert, jede Schule von
ihren älteren Formen bis zu ihrer höchsten Entwicklung
im unmittelbaren Zusammenhang zu überblicken, so ge-
währt sie ihm andererseits dafür durch die bequeme Ver-
gleichung der gleichzeitigen Formen der verschiedenen
Schulen einen erheblichen Ersatz. Außerdem aber kommt
der bei der ursprünglichen Anordnung der Gallerie be-
folgte Grundgedanke, die verschiedenen Schulen nach
der unter ihnen bestehenden Verwandtschaft folgen zu
lassen, jetzt erst auf eine ungleich feinere und harmoni-
schere Art zur Geltung. Während nämlich früher da-
durch, daß, wo die eine Schule in den Formen ihrer
höchsten Vollendung aufhörte, die darauf folgende wie-
der mit ihren älteren Formen anfing, unerachtet der
Verwandtschaft beider Schulen wegen des großen Unter-
schiedes der Epochen, womit sie aneinander gränzten,
dennoch ein auffallender Gegensatz statt fand, berühren
sich gegenwärtig die verwandten Schulen nur in ihren
gleichzeitigen Epochen.
Wie nämlich die älteren Venezianer einerseits mit
den älteren Niederländern gränzen, mit denen sie histo-
risch durch Antonello von Messina, den Schüler
des van Eyck und den Lehrer des Giovanni Bel-
I lini, so wie der ganzen, naturalistischen Richtung nach