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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Die Königl. Industrieschule in Plauen i.V.
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0183
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DIE KÖNIGL. INDUSTRIESCHULE IN PLAUEN I. V.

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gelassen werden, so dass z. B. in den letzten zwei Jahren
unter anderem auf die Übung in der Herstellung der
verschiedensten Hohlsaumarbeiten großes Gewicht gelegt
werden musste.

Von ganz besonderem Werte für die Thätigkeit
einer Directrice ist der Unterricht im Kunststicken,
Putzmachen und Zeichnen. Ersterer vermittelt die
Kenntnisse der verschiedensten Arten der Technik, die
bei der Neumusterung in den Geschäften nutzbringende
Verwendung finden, während beim Putzmachen notwen-
dige manuelle Fertigkeiten geübt und der Geschmack in
der Behandlung von Bandschmuck, Schleifen u. a. m.
gefördert wird. Auffällig ist bei manchen Schülerinnen
eine gewisse Abneigung gegen das Zeichnen, obgleich
diese Fähigkeit für den Beruf einer Directrice oder
Arbeiterin von grundlegender Bedeutung ist. Wenn
auch bei der Arbeit nicht immer Gelegenheit zur An-
wendung der zeichnerischen Fertigkeit gegeben ist, so
übt dieser Unterricht wie kein anderer das Auge, den
Geschmack und den Formensinn; er erzieht zur Strenge
mit sich selbst und zur Gewissenhaftigkeit bei der
Arbeit und fördert Peinlichkeit und Ordnungsliebe; denn
nie wird der Zeichenunterricht erfolgreich sein, wenn auf
diese p]igenschaften nicht großes Gewicht gelegt wird.

Die Frauenarbeitsschule, welche einen allgemeinen
Kursus in der Dauer von 1 l/j Jahr hat, dem sich für
die besonderen Zwecke der Weißwarenkonfektion ein
weiterer Kursus von '/a Janr anschließt, besteht aus
einer Unterklasse, einer Mittelklasse und einer Oberklasse,
sowie einer besonderen Abteilung für Kunststickerei.

Die Fabrikantenschule bezweckt die Belehrung
von jungen Kaufleuten in praktischen Fabrikations-
kenntnissen der Weberei, Hand- und Maschinenstickerei
und im Freihandzeichnen.

Die Beteiligung junger Fabrikanten an dieser Ab-
teilung der Königl. Industrieschule ist natürlich am leb-
haftesten beim Unterricht in der Maschinenstickerei, der
Hauptindustrie Plauens.

Die Erreichung eines zweckentsprechenden Zieles im
Maschinensticken erfordert nach den bisherigen Er-
fahrungen bei regelmäßigem vierstündigen Unterrichte in
der Woche 1 Jahr. Die vorhandenen Stickmaschinen
waren während der vergangenen 2 Jahre dauernd in
Benutzung; geübt wurden Cambric-Stickereien, Tüll- und
Ätzspitzen.

Die Sammlungen der Königlichen Industrieschule
dienen ausschließlich praktischen Zwecken; sie enthalten
deshalb nur solche Gegenstände, die für den Unterricht der
Schule und für die heimische Texilindustrie vorbildlichen
Wert haben.

Der Standpunkt des Kunstgelehrten musste daher
notwendigerweise verlassen und bei Erwerbung von Vor-
bildern den Bedürfnissen der Neuzeit Keclmung getragen
werden.

Die Textil-Sammlung enthält vorzugsweise muster-

gültige Erzeugnisse der Neuzeit, während solche früherer
Kunstepochen durch gute Abbildungen in der reichhaltigen
Bibliothek der Anstalt vertreten sind. Da bei den alten
Originalen die Farben verblichen sind und die Technik
meist veraltet ist, genügen die durch die moderne Ver-
vielfältigungskunst wiedergegebenen Abbildungen voll-
ständig für Unterrichtszwecke.

Die starke Benutzung der hiesigen Sammlungen
durch die Zeichner und Fabrikanten des Industriebezirkes
beweist die Richtigkeit der Grundsätze, welche bei Er-
werbung von Vorbildern bestimmend sind, — deutlicher
aber noch spricht dafür der an die Direktionen der
Kunstgewerbemuseen in der letzten Zeit immer dringen-
der gerichtete Mahnruf aus Fachkreisen, die gelehrten
Sonderzwecke bei Seite zu lassen und durch Ankauf
moderner Erzeugnisse den Bedürfnissen der Kunst-
gewerbetreibenden mehr Rechnung zu tragen.

Die von den Anhängern der älteren Eichtung auf-
gestellte Behauptung, dass die Erzeugnisse der Neuzeit
meist Nachahmungen alter Vorbilder und daher minder-
wertig seien, fällt schon allein durch die Thatsache, dass
die Textilindustrie alljährlich eine so große Anzahl
neuer und interessanter Erscheinungen in Muster, Farbe
und Technik bringt, dass die vorhandenen Mittel nicht
ausreichen, auch nur das Beste davon zu erwerben. Außer-
dem darf wohl auch zur Ehre der Kunstgewerbeschulen
angenommen werden, dass sich die Kunst der in ihnen
ausgebildeten Musterzeichner nicht nur in der Nach-
ahmung und Umänderung alter Muster bethätigt. Selbst-
verständlich baut sich auch diese, wie jede Kunst, auf
den Werken früherer Epochen auf, sie wird aber, weil
sie von den Anschauungen und Bedürfnissen ihrer Zeit
beeinflusst und von der Individualität des Künstlers um-
gestaltet wird, sich über die bloße Nachahmung erheben
und zur selbständigen Kunst werden. Die großen
Künstler der Renaissancezeit nahmen sich auch die An-
tike zum Vorbild, sie schufen aber, indem sie nur zu
kopiren glaubten, beseelt vom Geiste ihrer Zeit, Neues
und noch nie Erreichtes.1) Auch die Wogen unserer
Zeit gehen hoch, und wie die bildenden Künste mit
heißem Bemühen neue Bahnen suchen, indem sie sich
von der hergebrachten Kunstweise zu befreien trachten
und die Natur in allen ihren Erscheinungen zum Vor-
bilde nehmen, so muss notwendigerweise auch das Kunst-
gewerbe folgen und ist auch schon bis zu einem ge-
wissen Grade gefolgt. Namentlich auf dem Gebiete der
Textilindustrie, dein weitesten Felde für die Verzierungs-
kunst, begegnet man, wie schon bemerkt, seit Jahren
außerordentlich mannigfaltigen Ornamentirungen, die
durchaus nicht Nachahmungen alter Muster sind.

Die Sorge, dass die modernen Farben schneller ver-
bleichen, als die alten, ist unberechtigt; denn die Färber -
knnst steht gegenwärtig auf einer hohen Stufe. In

1) Vgl. Semper, „Der Stil".

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