Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

DOI Artikel:
Hofmann, Albert: Die Berliner Gewerbeausstellung 1896, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0219
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


DIE BERLINER GEWERBEAUSSTELLUNG 1896.

191

*>

die das Material zieht, überschritten scheinen bei jenen
Kiesenvasen, deren plastischer Schmuck als Gehänge
weit von dem Körper der Vase absteht. Technische
Virtuosenstücke sind keine Kunst. Vollendet schön ist
und volle Bewunderung verdient wieder das in um-
fassendstem Maße zum Schmuck verwendete gemalte und
plastische Blumenelement. Hier ist eine Pracht der
Darstellung mit einer Vornehmheit der Auffassung ver-
knüpft, die in den besten Zeiten des Porzellandekors
nicht erreicht wurde. Es verbietet sich an dieser Stelle
von selbst, auf die einzelnen Stücke der ungemein reich-
haltigen Ausstellung einzugehen, wer es aber zu unter-
nehmen die Muße hat, wird immer neue Schönheiten ent-
decken. Die Ausstellung der königlichen Porzellan-
manufaktur bedeutet bedingungslos
den Höhepunkt der ganzen Aus-
stellung.

Der Abstand zwischen dieser
künstlerisch geadelten Gruppe und
zwischen dem kunstgewerblichen
Gebiete, welches ihr räumlich un-
mittelbar angeschlossen ist, der Ab-
teilung für Möbel und Hansrat, fällt
hart in die Augen. Seit der ärger-
lichen Möbelausstellung im soge-
nannten Landesausstellungspalaste
am Lehrter Bahnhof im Jahre 1894
stellt die Berliner Möbelindustrie
in keinem guten Rufe, und die Stel-
len, an denen thatsächlich Vorzüg-
liches geleistet wird, müssen unter
diesem Rufe mit leiden. Mau hätte
nun erwarten können, dass die
ausnahmslos erfolgte Verurteilung
jener bedauerlichen Veranstaltung
die interessirten Kreise veranlasst
hätte, sich an den Kopf zu fassen
und zu sagen, wie können wir
1896 die Niederlage von 1894 wieder ausgleichen?
An einigen Stellen scheint ein solcher Anlauf that-
sächlich unternommen zu sein; man bemerkt vielfach
den besten Willen, ein Möbel, einen Innenraum zu
schaffen, der sowohl praktischen wie künstlerischen
Anforderungen zu genügen vermag. Aber die Selbst-
besinnung ist noch keine vollkommene, die Selbsterziehung
noch nicht mit der nötigen Strenge durchgeführt, die
Erkenntnis, dass zum Entwurf eines summarischen,
maßvollen und doch wirkungsvollen Innenraumes der
beste Künstler gerade gut genug ist, noch nicht mit
voller Macht durchgedrungen, als dass nicht nur be-
friedigende, sondern erfreuliche Ergebnisse zu erwarten
gewesen wären. So kommt es, dass die Abteilung für
Wohnungseinrichtung nur an wenigen Stellen Anläufe
zum Besseren zeigt. Der künstlerische Wert steht
im umgekehrten Verhältnisse zu dem nicht unbeträcht-

lichen Umfange. Natürlich haben auch hier englische
Einflüsse verheerend gewirkt; missverstandene, gezierte
und im schlechtesten Sinne eigenwillige Formen nehmen
die Bedeutung für sich in Anspruch, dem „neuesten
Geschmack" zu huldigen. Gemacht wird derselbe vom
Tapezier und von Möbelkünstlern, die im besten Falle
mit heißem Bemühn die auf dem Büchermarkte er-
schienenen Veröffentlichungen über englische Innenräume
durchgesehen haben, ihrer ganzen geistigen und künstler-
ischen Veranlagung nach aber nicht in der Lage sind,
den tieferen Grund der Gestaltungsformen zu erfassen.
Der Mitarbeit wirklicher Künstler hat man sich an nur
zwei oder drei Stellen versichert und auch hier ist der
Genuss kein reiner. Oft geradezu bedenklich wird der

*mC^







L^t^'.!^_

'J

Teil eines Stuckfrieses an der Fassade des Chemiegebäudes (Architekt H. Griseuach)
auf der Berliner Gewcrbeausstellung 1896, modellirt von Bildhauer Giesecke, Berlin.

Eindruck da, wo historische Stilformen zur Anwendung
gelangt sind. Von der gotischen Zeit an sind sie ver-
treten bis zum Rokoko und Empire. Nahezu alle in
dieser Richtung ausgeführten Arbeiten sind von dem
falschen Glauben beherrscht, dass, um gotisch zu sein,
es nur der Zinnen und des Maßwerks, um deutsche
Renaissance zu sein, es nur einiger schlecht gezeichneter
Lehrwerkornamente, um Barock zu sein, es nur einiger
unbeholfener geschwungener Formen, um Rokoko zu sein,
es nur einer planlosen Masse gekrümmter Linien, und
um Empire zu sein, es nur einer möglichst trockenen
und geradlinigen Auffassung des Barock bedürfe. 0 nein.
In diesen Stilarten liegt doch ein Tieferes, und wer es
ergründen will, der muss mit der ganzwjj Uneigennützig-
keit einer lauteren Seele hinabsteigen. Wer in die
Tiefe steigt und den Schatz zu heben sucht des Ge-
winnes halber, der läuft wohl Gefahr, nicht mehr herauf-

25*
 
Annotationen