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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,4.1910

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Heft 24 (2. Septemberheft1910)
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Rath, Wilhelm: Marie von Ebner-Eschenbach: zu ihrem achtzigsten Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.9020#0425
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war, die jedoch gesellschaftlich zu Marie Dubskys Iugendzeit noch
nicht an die Möglichkeit dachte, eine Komtesse könnte sich ernstlich
mit dem Dichterhandwerk einlassen. Und die schönere Hälfte des
Iahres wurde von der Familie regelmäßig in Mähren verbracht, auf
Zdißlavitz, dem väterlichen Schloßgut. Zu deu englischen und fran-
zösischen Einflüssen der Erziehung gesellte sich da noch die Ge-
wöhnung an Wesen und Sprache der Slawen. Ein wirkliches Wun-
der, daß aus solcher Umgebung eine deutsche Dichterin hervorgehen
konnte.

Die heftigen ersten Versübungen wurden alle in französischer
Sprache vorgenommen. Lin siebzehn Iahre älterer Vetter, Moriz von
Ebner-Eschenbach, der sieben Iahre später Mariens Gatte wurde,
hat die Elfjährige, als er von ihr eine französische Ode auf Napoleon
kennen lernte, in Gelegenheitsversen gemahnt: „. . . Du bist ein Sproß
aus gutgermanischem Blut. Was deutsch du denkst, hab deutsch zu
sagen auch den Mutl" Der Weckruf hatte vollen Ersolg. Die jugend-
liche Osterreicherin verwandelte sich sehr rasch aus einer französischen
in eine deutsche Dichterin.

In der nächstfolgenden Zeit erlebte sie das „vielleicht denkwürdigste
Lreignis" ihrer Kinderjahre: die Bekanntschaft mit Schillers Werken.
Und von ihrem zwölften Iahr an durfte sie regelmäßig das Burg-
theater — in seiner guten alten Zeit — besuchen. „Ein Bildungs-
mittel ohnegleichen" nennt es die Dichterin, mehr als ein halbes
Iahrhundert später; „ihm verdanke ich die Grundlage zu meiner
ästhetischen Erziehung, die damals begann und heute — noch lange
nicht beendet ist." Anno ^7 hatte Franz Grillparzer die Erstlingspoesie
der jungen Komtesse zu prüfen und fand bereits unverkennbare Spuren
von Talent, ja „eine Anlage, die Interesse weckt und deren Kulti-
vierung zu unterlassen wohl kaum in der eigenen Willkür der Be-
sitzerin stehen dürfte".

Nicht durch Blendwerk des Tcmperaments, nicht durch entgegen-
kommende Oberflächlichkeit der Fabulierung hat Marie von Ebner
ihren Namen berühmt gemacht. All die Liebe, die ihr das gebildete
Deutschland entgegenbringt, ist redlichst erworben durch ein Lebens-
werk von schlichter Wahrhaftigkeit.

In Schillers Spuren begann sie. Die Tragödie war ihr jahrelang
das Gebiet, auf dem sie ihr Bestes zu geben hoffte. Ihr erstes (ver-
öffentlichtes) Bühnenwerk, entstanden vor einem halben Iahrhundert,
heißt nicht zufällig „Maria Skuart in Schottland"; und das einaktige
Versdrama „Doktor Ritter", das sie in den sechziger Iahren schrieb,
führt den jugendlichsten Schiller in Person auf die Bühne. Aber
mit dem Idealismus des großen Schwaben hat sie nicht sein Pathos
übernommen. Dies zeigte sich deutlicher schon in ihrem gefühls-
kräftigen Revolutionsdrama „Marie Roland", das aus ihrem sieben-
unddreißigsten Lebensjahr stammt, und immer unzweifelhafter da-
nach, als sie sich vom undankbaren Theater hinweg der Prosaerzäh-
luug* zuwandte. Auch ihr ward, gleichwie dem alten Fontane, „der

* Die Wcrke Marie von Ebners erscheinen fast alle iin Verlage von
Gcbrüder Paetel (Qr. Georg Paetel), Berlin ss- „Bozena" bei Cotta.

2. Septemberheft (M 2V
 
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