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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 18
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Lier, Leonhard: Komödiespielen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0283

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Derausgeber:

Ferdmand Nvenartus.

vierteljährlich 2>/s Mark.

8. Zabrg.

NomödiespLelen.

enn Kinder oder Erwachsene. die sich
aus Scherz und Laune als Kinder ge-
berden, einmal Komödie spielen, so ist
ihr vornehmstes Trachten, alle Reminiszenzen an ihr
taggewohntes Thun und Lassen kühn über Bord zu
wersen und sich zu gehaben, als seien sie in eine
neue Haut gesahren. Sie gebrauchen die Arme, wie
die Signale eines Bahntelegraphen, sie rollen die
Augen in wilder Wut, verdrehen sie schmachtend
gen Himmel und entdecken, wie zahllose hinweisende
Gesten beweisen, ihr Herz an einer Stelle, wo sie es,
geschweige denn ein Arzt, in keiner vernünftigen Stunde
suchen würden. Komödiespielen, sei es nun im Scherz
oder im sürchterlichen Eiser des Dilletantismus, ist
eben das ewig Andere, das Vertauschen täglicher
Lebensmanieren mit sremden, deren Vorbild die Wirk-
lichkeit in den seltensten Fällen ist, ja, es ist geradezu
das aus den Kopsstellen alles dessen, was man ge-
wohnt ist. Komödie ist eben Komödie, d. h. ein
Verstellen, ein sich Verkleiden, ein Anderssein, als
man ist, mit allem dem Auswande von Künstlichkeit
und Absonderlichkeit, der geeignet erscheint, die Ver-
stellung als solche wirken zu lassen.

Jn den Zeiten der erwachenden Schauspielkunst
sprach man von Mummenschantz, wie er heute noch
in dieser oder jener von der nivellierenden Kultur
noch nicht erreichten Landschast gang und gäbe ist.
Die Fleischhauer, die Bäcker, die Küfer verkleideten
sich in abenteuerliche Kostüme, sie erschienen als

Bauer Grölzdenbrei, Rübenwanst oder Nasenkunz,
sie kamen als polternde Bäuerin, verschlagene Kupp-
lerin und als tappete Dirn, und ein Hauptreiz dieser
Mummerei war es, unerkannt von Freund und Ge-
vatter, tolle Possen hersagen und über Alt und Jung
die Narrenpeitsche schwingen zu können. Manches
Mal mag die Verkleidung den Zweck gehabt haben,
allzu bösartige Spötter vor nachträglicher Rache zu
schützen. Gewiß aber wurde bei der Vermummung
auch besonderer Wert daraus gelegt, die Aeußerlich-
keit des darzustellenden Charakters kräftig und derb
zum Ausdruck zu bringen. Die Triebfedern dieser
kindlichen Schauspielkunst waren Lust an der Ver-
stellung und Hang zur ausgelassenen Spötterei, der
eine karikierende Verdrehung der Wirklichkeit nur zu
Statten kommen konnte.

Die Zeiten dieser kindlichen Schauspielerei sind,
von wenigen volkstümlichen Ausnahmen abgesehen,
vorbei; aber noch immer ist das Komödiespielen ein
wenig Mummenschantz, noch immer prangt über un-
seren vornehmsten Schaubühnen die verzerrte Maske
des Satyrn, des Tragöden, das Sinnbild des
Mummenschantzes. Jnzwischen haben sich auf allen
Kunstgebieten gewaltige Wandlungen vollzogen. Aus
der Bühne folgte der Volkskomödie die Kunstkomödie,
dem Laien solgte der Berussschauspieler, und aus
einer Nebenkunst ward immer mehr eine Kunst für
sich, sür deren Einreihung nach Recht und Gebühr
in die Zahl der Künste von hüben und drüben hef-


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