VIII
EINLEITUNd.
hornungen der Namen der Mediciner Elia, Gariopontus
und Abdallah zu gelten haben, dürfte schwerlich festzu-
stellen sein. Als sicher aber kann es gelten, dass verschie-
dene bereits im 9. Jahrhundert in Salerno lebende Aerzte mit
Namen aufgeführt werden, und dass die salernitanischen
Aerzte im 10. Jahrhundert an den fürstlichen Höfen in
grossem Ansehen standen, während Salerno, auch wegen
der schönen und gesunden Lage, in dieser Zeit von
vielen vornehmen, aus allen Gegenden herbeiströmenden
Kranken besucht wurde.
Auch in den Dichterwerken jener Zeit wird die Stadt
wiederholt genannt. Reineke Fuchs versuchte, in Sa-
lerno ein Heilmittel für den kranken König der Tiere zu
finden und Hartmann von der Aue J) lässt den aussätzi-
gen Ritter Heinrich nach Salerno gehen, um Heilung für
sein Uebel zu suchen:
und fuor gegen Salerne
und suocht auch dä durch genist
der wisen arzäte list.
den besten meister er dä vant
der seite ime zehant
ein seltsaene maere,
daz er genislich waere.
Haeser * 2) neigt zur Annahme, dass die Schule schon
von Anfang an einen weltlichen Charakter gehabt haben
muss. Als Beweis führt er an, dass die theologische
Wissenschaft unter den Fakultäten nicht vertreten war.
Auch die Vertretung des weiblichen Elementes unter
den Lehrkräften der Schule bestätigt deren Selbständig-
keit. Demgegenüber führt Denifle 3) an, dass der weltliche
Charakter der Schule im 12. Jahrhundert in Bezug auf deren
Charakter in früheren Zeitabschnitten, die, wie Haeser
selbst zugeben muss, gänzlich in Dunkeln liegen, nichts
beweist. Auch können die verheirateten männlichen und
auch weiblichen Lehrer in Salerno keineswegs als Unicum
gelten, denn auch Manegold, der in der zweiten Hälfte des
elften Jahrhunderts in Paris Theologie lehrte, war verhei-
ratet, während seine Töchter gleichfalls Unterricht in den
Lehren der heiligen Schrift erteilten. Es lässt sich jedoch
nicht leugnen, dass die Lehrerinnen der Schule zu Salerno
eine weit grössere Berühmtheit erworben haben, als die-
j enigen irgend welcher anderen mittelalterlichen Lehranstalt;
denn während von diesen kaum etwas mehr als der
Name bis auf uns gekommen ist, haben jene eine
so wichtige Rolle gespielt, dass sie ihren männlichen
') Der arme Heinrich Hartmanns von der Aue, etc. von Wilhelm
Wackernagel und W. Toischer. Basel, 1885.
’) Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen
Krankheiten. Dritte Bearbeitung. Bd. I, 1875.
3) P. Heinrich Denifle, Die Universitäten des Mittelalters bis 1400.
Bd. I. 1885. S. 232.
Kollegen ruhig zur Seite gestellt werden konnten. Das
Merkwürdigste bleibt immerhin, dass diese weiblichen
Professoren die Heilkunde ausübten und unterrichteten;
jedenfalls führt Denifle keinerlei derartige Beispiele von
anderen Universitäten an.
Die Hervorragendste dieser »mulieres salernitanae”
ist zweifellos Trotula, die mutmassliche Gattin des Jan
Platearius I, des bekannten Verfassers des salernitani-
schen Werkes: »Circa instans”.
»Et sachez,” lässt maitre Rutebeuf *) den »herboriste”
sagen, wenn er über »madame Trotte de Salerne” spricht,
»sachez que c’est la plus sage dame qui soit enz quatre
parties du monde.”
Es fehlt unseren Miniaturen zwar nicht an weibli-
chen Figuren; wir finden z.B. deren eine auf fol.
32or., die bei einem Aderlass assistiert, und eine auf
461V., eine Nonne darstellend, welche die Rolle einer
Pflegerin erfüllt; hin und wieder begegnen wir noch
einer Hausfrau oder einer Magd, die bei einer Kon-
sultation zugegen ist, doch nirgends trifift man in ärzt-
licher Tätigkeit abgebildete Frauen.
Die Miniaturen ßor., 39r., 503V., 587V. und 6o8v.
erinnern an den theoretischen Unterricht, der einen so
grossen Teil des Unterrichtes im Mittelalter bildete. Sie
stellen einen Lehrer dar, der vom Katheder aus das
Wort tührt, während die rundum auf Bänken sitzenden
Schüler aufmerksam zuhören oder fieissig Notizen machen.
Der mit einem goldenen Stab ausgerüstete Pedell ver-
leiht dem Ganzen die nötige Feierlichkeit. Der grosse
Abstand, der die Schüler vom Meister trennt, fällt sofort
auf; dieser ist reich gekleidet und hält das Haupt bedeckt,
während jene kleiner gezeichnet und ausserdem viel
einfacher bekleidet sind.
Diese Vorlesungen waren hauptsächlich der Erklä-
rung der Werke von Hippokrates, Aristoteles, Galenos,
Dioskurides und anderen klassischen Schriftstellern, in
späterer Zeit auch derjenigen arabischer Aerzte gewid-
met. Den Lehrern war durch kaiserliche Verordnung
befohlen, hierbei von den »echten” Schriften Gebrauch
zu machen. Es wurden aber nicht nur medizinische
und philosophische Wissenschaften doziert. Bevor
der Student sich der eigentlichen medizinischen
Fachwissenschaft widmen durfte, musste er sich des
Studiums der klassischen Sprachen, der Logik und
Ethik befleissigen. »Want” sagt der mittelalterliche
Vlämische Chirurg Jan Yperman, 2) »want logike leert
') Le diz de l’erberie, de Rutebeuf. Oeuvres completes publ. par
A. Jubinal, Paris, 1874 — ’75-
2) Handschrift: Chirurgie van Jan Yperman (1310), Königl. Biblioth.
Brüssel. Nr. 15641.
EINLEITUNd.
hornungen der Namen der Mediciner Elia, Gariopontus
und Abdallah zu gelten haben, dürfte schwerlich festzu-
stellen sein. Als sicher aber kann es gelten, dass verschie-
dene bereits im 9. Jahrhundert in Salerno lebende Aerzte mit
Namen aufgeführt werden, und dass die salernitanischen
Aerzte im 10. Jahrhundert an den fürstlichen Höfen in
grossem Ansehen standen, während Salerno, auch wegen
der schönen und gesunden Lage, in dieser Zeit von
vielen vornehmen, aus allen Gegenden herbeiströmenden
Kranken besucht wurde.
Auch in den Dichterwerken jener Zeit wird die Stadt
wiederholt genannt. Reineke Fuchs versuchte, in Sa-
lerno ein Heilmittel für den kranken König der Tiere zu
finden und Hartmann von der Aue J) lässt den aussätzi-
gen Ritter Heinrich nach Salerno gehen, um Heilung für
sein Uebel zu suchen:
und fuor gegen Salerne
und suocht auch dä durch genist
der wisen arzäte list.
den besten meister er dä vant
der seite ime zehant
ein seltsaene maere,
daz er genislich waere.
Haeser * 2) neigt zur Annahme, dass die Schule schon
von Anfang an einen weltlichen Charakter gehabt haben
muss. Als Beweis führt er an, dass die theologische
Wissenschaft unter den Fakultäten nicht vertreten war.
Auch die Vertretung des weiblichen Elementes unter
den Lehrkräften der Schule bestätigt deren Selbständig-
keit. Demgegenüber führt Denifle 3) an, dass der weltliche
Charakter der Schule im 12. Jahrhundert in Bezug auf deren
Charakter in früheren Zeitabschnitten, die, wie Haeser
selbst zugeben muss, gänzlich in Dunkeln liegen, nichts
beweist. Auch können die verheirateten männlichen und
auch weiblichen Lehrer in Salerno keineswegs als Unicum
gelten, denn auch Manegold, der in der zweiten Hälfte des
elften Jahrhunderts in Paris Theologie lehrte, war verhei-
ratet, während seine Töchter gleichfalls Unterricht in den
Lehren der heiligen Schrift erteilten. Es lässt sich jedoch
nicht leugnen, dass die Lehrerinnen der Schule zu Salerno
eine weit grössere Berühmtheit erworben haben, als die-
j enigen irgend welcher anderen mittelalterlichen Lehranstalt;
denn während von diesen kaum etwas mehr als der
Name bis auf uns gekommen ist, haben jene eine
so wichtige Rolle gespielt, dass sie ihren männlichen
') Der arme Heinrich Hartmanns von der Aue, etc. von Wilhelm
Wackernagel und W. Toischer. Basel, 1885.
’) Lehrbuch der Geschichte der Medizin und der epidemischen
Krankheiten. Dritte Bearbeitung. Bd. I, 1875.
3) P. Heinrich Denifle, Die Universitäten des Mittelalters bis 1400.
Bd. I. 1885. S. 232.
Kollegen ruhig zur Seite gestellt werden konnten. Das
Merkwürdigste bleibt immerhin, dass diese weiblichen
Professoren die Heilkunde ausübten und unterrichteten;
jedenfalls führt Denifle keinerlei derartige Beispiele von
anderen Universitäten an.
Die Hervorragendste dieser »mulieres salernitanae”
ist zweifellos Trotula, die mutmassliche Gattin des Jan
Platearius I, des bekannten Verfassers des salernitani-
schen Werkes: »Circa instans”.
»Et sachez,” lässt maitre Rutebeuf *) den »herboriste”
sagen, wenn er über »madame Trotte de Salerne” spricht,
»sachez que c’est la plus sage dame qui soit enz quatre
parties du monde.”
Es fehlt unseren Miniaturen zwar nicht an weibli-
chen Figuren; wir finden z.B. deren eine auf fol.
32or., die bei einem Aderlass assistiert, und eine auf
461V., eine Nonne darstellend, welche die Rolle einer
Pflegerin erfüllt; hin und wieder begegnen wir noch
einer Hausfrau oder einer Magd, die bei einer Kon-
sultation zugegen ist, doch nirgends trifift man in ärzt-
licher Tätigkeit abgebildete Frauen.
Die Miniaturen ßor., 39r., 503V., 587V. und 6o8v.
erinnern an den theoretischen Unterricht, der einen so
grossen Teil des Unterrichtes im Mittelalter bildete. Sie
stellen einen Lehrer dar, der vom Katheder aus das
Wort tührt, während die rundum auf Bänken sitzenden
Schüler aufmerksam zuhören oder fieissig Notizen machen.
Der mit einem goldenen Stab ausgerüstete Pedell ver-
leiht dem Ganzen die nötige Feierlichkeit. Der grosse
Abstand, der die Schüler vom Meister trennt, fällt sofort
auf; dieser ist reich gekleidet und hält das Haupt bedeckt,
während jene kleiner gezeichnet und ausserdem viel
einfacher bekleidet sind.
Diese Vorlesungen waren hauptsächlich der Erklä-
rung der Werke von Hippokrates, Aristoteles, Galenos,
Dioskurides und anderen klassischen Schriftstellern, in
späterer Zeit auch derjenigen arabischer Aerzte gewid-
met. Den Lehrern war durch kaiserliche Verordnung
befohlen, hierbei von den »echten” Schriften Gebrauch
zu machen. Es wurden aber nicht nur medizinische
und philosophische Wissenschaften doziert. Bevor
der Student sich der eigentlichen medizinischen
Fachwissenschaft widmen durfte, musste er sich des
Studiums der klassischen Sprachen, der Logik und
Ethik befleissigen. »Want” sagt der mittelalterliche
Vlämische Chirurg Jan Yperman, 2) »want logike leert
') Le diz de l’erberie, de Rutebeuf. Oeuvres completes publ. par
A. Jubinal, Paris, 1874 — ’75-
2) Handschrift: Chirurgie van Jan Yperman (1310), Königl. Biblioth.
Brüssel. Nr. 15641.