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MARTIN SCHONGAUER
Lübke i zählt die Höllenfahrt, Christus vor Annas und die Geißelung zu den frühesten
Blättern der Folge, zu den edelsten Christus am Kreuz, Pilatus und die Grablegung,
obwohl die letztere technisch weniger durchgebildet sei.
v. Seidlitz datiert von der Passion an einen Wendepunkt in der Kunstweise des
Meisters. Nach den Werken der Frühzeit, die etwa bis zum Tode Marias Nr. 16, dem
Galichon-Crucifixus Nr. 11, den Heiligen Johannes Baptista Nr. 59, Martin Nr. 62,
Sebastian Nr. 64 und Agnes Nr. 67 reichen und sich durch die freiere Behandlungs-
weise auszeichnen, treten hier zunächst diejenigen Typen und diejenige Behandlung auf,
die fürSchongauer besonders charakteristisch erscheinen, weil sie in der überwiegenden
Mehrzahl seiner späteren Werke wiederkehren. — Was er a.a.O.p. 176 u.ff. über diesen
Stil Schongauers sagt, dessen Kernpunkt die Passion bildet, gehört unstreitig zum
Besten, was je über den Colmarer Meister geschrieben wurde, und ich könnte hier
lediglich seine Worte wiederholen. Es sei daher nur erwähnt, daß er wie Scheibler
Dornenkrönung, Christus am Kreuz und Auferstehung (Nr. 23, 27 und 30) später als
die übrigen Blätter ansetzt.
Wendland verweist die Folge an den Schluß der zweiten Periode (Werke im wer-
denden Stil) und verbreitet sich ausführlich über die vom Künstler angestrebten und
erreichten Fortschritte, die die Passion gegenüber der Kreuztragung Nr. 9 und anderen
mehrfigurigen Blättern zeigt. Schongauer habe, sagt er, das Format außergewöhnlich
klein gewählt, um sich damit die geschlossenere Bildwirkung zu erleichtern. Dadurch
sei er aber auch zu einer Verfeinerung der Zeichnung gedrängt worden, habe sich
Rechenschaft über den gemeinsamen Lichtwert jeder Bildzone geben müssen usw. Da
die Linie den Nerv aller seiner Formen bilde, habe er jeden Kopf erschöpfend durch-
modelliert, für die vorderen Figuren aber ein helleres Relief gewählt als für die hinteren.
Diese Abstufung gestattete ihm nur geringe Bildvertiefung und er entwickelte deshalb
die Hauptpersonen nebeneinander, um die freibleibenden Stellen mit Nebenfiguren zu
füllen und diese wieder auf nahe architektonische Hintergründe zu setzen.
Wendland nimmt an, daß die zwölf Blätter ungefähr in der natürlichen Reihenfolge
entstanden seien, jedenfalls der Ölberg das früheste der Folge sei.
Für die frühe Entstehungszeit der Passion scheint mir auch der Umstand beachtens-
wert, daß sie teilweise vom Monogrammisten £>0( 8 kopiert wurde, dessen Tätigkeit im
allgemeinen vor Schongauer fallen dürfte und der von dessen Stichen sonst keinen
kopiert hat, obwohl er lediglich ein Nachstecher war.
Schongauer hat, wahrscheinlich unter dem Eindruck der ihm von den Passionsspielen
geläufigen Schergenfiguren, gewisse Typen auf seinen Blättern auch kostümlich genau
wiederholt. Mindestens acht solcher Rüpelgestalten kann man unterscheiden, besonders
den kurzgeschorenenMalchus mit den zerlumpten Ärmeln und nackten Beinen, den bär-
tigen Schergen in kurzem, gezaddelten Rock mit Turban, Schaftstiefeln, nackten Knien
und Armen, mit Tasche und Schwert, den ebenfalls bärtigen mit turbanumwundenem
Helm, den Krieger mit Basinett und Helmbarte, den bärtigen Knecht mit geschweiftem
Helm, halbnackter Brust und Armen, jenen mit Spitzbart, niedrigem Barett und engen
Ärmeln, den bartlosen mit gelocktem Haar, Stirnbinde und Achselbändern usw. Auch
der Knabe mit dem Knüttel kommt auf der Dornenkrönung, Schaustellung und Kreuz-
tragung vor.
i Z. f. b. K. XVI. (1881) p. 77.
MARTIN SCHONGAUER
Lübke i zählt die Höllenfahrt, Christus vor Annas und die Geißelung zu den frühesten
Blättern der Folge, zu den edelsten Christus am Kreuz, Pilatus und die Grablegung,
obwohl die letztere technisch weniger durchgebildet sei.
v. Seidlitz datiert von der Passion an einen Wendepunkt in der Kunstweise des
Meisters. Nach den Werken der Frühzeit, die etwa bis zum Tode Marias Nr. 16, dem
Galichon-Crucifixus Nr. 11, den Heiligen Johannes Baptista Nr. 59, Martin Nr. 62,
Sebastian Nr. 64 und Agnes Nr. 67 reichen und sich durch die freiere Behandlungs-
weise auszeichnen, treten hier zunächst diejenigen Typen und diejenige Behandlung auf,
die fürSchongauer besonders charakteristisch erscheinen, weil sie in der überwiegenden
Mehrzahl seiner späteren Werke wiederkehren. — Was er a.a.O.p. 176 u.ff. über diesen
Stil Schongauers sagt, dessen Kernpunkt die Passion bildet, gehört unstreitig zum
Besten, was je über den Colmarer Meister geschrieben wurde, und ich könnte hier
lediglich seine Worte wiederholen. Es sei daher nur erwähnt, daß er wie Scheibler
Dornenkrönung, Christus am Kreuz und Auferstehung (Nr. 23, 27 und 30) später als
die übrigen Blätter ansetzt.
Wendland verweist die Folge an den Schluß der zweiten Periode (Werke im wer-
denden Stil) und verbreitet sich ausführlich über die vom Künstler angestrebten und
erreichten Fortschritte, die die Passion gegenüber der Kreuztragung Nr. 9 und anderen
mehrfigurigen Blättern zeigt. Schongauer habe, sagt er, das Format außergewöhnlich
klein gewählt, um sich damit die geschlossenere Bildwirkung zu erleichtern. Dadurch
sei er aber auch zu einer Verfeinerung der Zeichnung gedrängt worden, habe sich
Rechenschaft über den gemeinsamen Lichtwert jeder Bildzone geben müssen usw. Da
die Linie den Nerv aller seiner Formen bilde, habe er jeden Kopf erschöpfend durch-
modelliert, für die vorderen Figuren aber ein helleres Relief gewählt als für die hinteren.
Diese Abstufung gestattete ihm nur geringe Bildvertiefung und er entwickelte deshalb
die Hauptpersonen nebeneinander, um die freibleibenden Stellen mit Nebenfiguren zu
füllen und diese wieder auf nahe architektonische Hintergründe zu setzen.
Wendland nimmt an, daß die zwölf Blätter ungefähr in der natürlichen Reihenfolge
entstanden seien, jedenfalls der Ölberg das früheste der Folge sei.
Für die frühe Entstehungszeit der Passion scheint mir auch der Umstand beachtens-
wert, daß sie teilweise vom Monogrammisten £>0( 8 kopiert wurde, dessen Tätigkeit im
allgemeinen vor Schongauer fallen dürfte und der von dessen Stichen sonst keinen
kopiert hat, obwohl er lediglich ein Nachstecher war.
Schongauer hat, wahrscheinlich unter dem Eindruck der ihm von den Passionsspielen
geläufigen Schergenfiguren, gewisse Typen auf seinen Blättern auch kostümlich genau
wiederholt. Mindestens acht solcher Rüpelgestalten kann man unterscheiden, besonders
den kurzgeschorenenMalchus mit den zerlumpten Ärmeln und nackten Beinen, den bär-
tigen Schergen in kurzem, gezaddelten Rock mit Turban, Schaftstiefeln, nackten Knien
und Armen, mit Tasche und Schwert, den ebenfalls bärtigen mit turbanumwundenem
Helm, den Krieger mit Basinett und Helmbarte, den bärtigen Knecht mit geschweiftem
Helm, halbnackter Brust und Armen, jenen mit Spitzbart, niedrigem Barett und engen
Ärmeln, den bartlosen mit gelocktem Haar, Stirnbinde und Achselbändern usw. Auch
der Knabe mit dem Knüttel kommt auf der Dornenkrönung, Schaustellung und Kreuz-
tragung vor.
i Z. f. b. K. XVI. (1881) p. 77.