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Die Weißwurscht von morgea.

Von Dr. Ddolf Tirr.

Einr Cchnfucht geht -urchs dentsche Bolk .... die
Sehnsucht nacy ber Wcißwurscht. Süddeutsche werden sosort
verstehen, was dawii geweint ist; audere Laudsleute, die diese
ftgensreiche (Liurichtung nicht kennen, seien hierinit dciriiber
ansaetlürt; sie ist nichts wehr und nichts weniger als bas
Synibal bes Friedensiebens.

Frühcr ober spätcr kornmt sie hosfentlich wieder in ihrer
ganzen appeütlichen Nundlichkeit und Fnlle, gesegnet sei der
Tag . . . Aber bis der Tag crscheint, sei der Himmel dir
ein Freund, Leutscher! Tenn du glaubst es nichi, wievicl an
dieser Lieißwurscht drum und dran hängt.

Zum Mclsswurschtmachen braucht man KälLer, viele
Kälber; zn den Kälbern braucht man Kühe; zu den Kühen
braucht man Futtermittel, viel Futteruiittel; zu den Futter-
mitteln braucht man ArLeitskräfte, viel ArbeitZlrüste; zu den
Arbcitskräften brauchen wir Frieden, viel Frieden und zu
dem Fricdcn brauchen wir Sicg, viel Sicg.

Lenu es ist ganz klar: Seit über drei Jahren stehen
etwa 40 Millionen Männer im Felde. Sie sind seit dieser
Zeit m'.L unproduktiver Arbeit beschäftigt. Tas bcbeutet also
den Anssall der Arbeit von etwa 120 Miüiouen Lieuschen.
Dies bedeutet wiedcrum den Mangel au all den Prodntlen,
die biese Monschen hervorgebracht hütten, seien es nun ver-
arbeitete oder Rohmaterialien.

Wir haben also für die Zeit nach bcm Krieae zunächst
mit eiuem sürchterlichen Maugel an sertigen Probutteu (man
denke bloß zuuüchst an Kleider und Stiesel!) zu kämpsen.
Um dieseni Maugel abzuhclsen, brauchen wir Rohmaterial.
Von dem ist aus der ganzen Welt nun eben nicht viel vor-
handen und was vorhanden ist, ist sündhaft teuer. Auszer-
dem ijt ber gcriuge Vcrrat nun eiumat iu den Hünben
unserer Feinde. Es schlüge allem gesuuden Menschenverstanb
ins Cesicht, woüte man aunchmen, baß sie d-as bijzcheu, was
fie haben, uus gutwillig abtreteu werden. Teuu eiuma!
brauchen sie s selber, zweitens ist es ein surchtöar bequemes
Mittel, den AufschWung der dcutfchen Jndufirie uiederzuhal-
ten, weun man ihr die Rohmaterialien verweigert.

Bekommt sie aber, keiue oder nichk in völlig ausreichen-
dem Maße, so kommt's fo: der Soldat kommt aus denr Felde

zurück und wird Arbeiter. Er sucht Arbeit rmd . . . findet
keine, weik's an dem nötigen Material gebricht. Mas soll,
was wird er tun? Vetteln? DaZ tut er uicht. Alles krumm
und klein schlagen? Tas nützt ihm nichts. Sich aus Aus-
wege verlassen? Jst nirhts auf die Tauer. Wisst ihr was
er tun wird? Eincn Arbcitsmarkt aufjuchen. Wißt ihr, wo
dcr Arbcitsmarkt liegt? Im . . . fciudlicheu Ausland, im
! besien Falle in einigen ucutralen Staateu, dort, wohin eben
das Rohruaieria! hiufLromt. Wiszt ihr, wozu er Lamit wird?
Zum Lohriskraveu.

Jbr glaubt vielleicht, es gäbc einen Ausweg, man könnte
das nötige Rotzmcrtcrial etwa kauscn. Wifit ihr, was es
kbslet? Seht euch die Preise in der gauzeu Welt an und
sragt cuch, was bas fertige Prvdukt baun tofieu roird. Wem
ver.aust ihr es denu? Ten Kriegsgewiumeru? Tie sind
eine Handvoll und ihr braucgt Lciuio-.ieumürAe. Den durch
deu Krieg ausgepovcrten Masfeu? Die kauseii nur dann,
werm fie's blllig habeu töunen.

Wollt ihr also arbeiten und die Frucht eurer Arbeit ab-
fetzeu, so scht zu, datz ihr zu billigcu RohsLojsen kommt. Wie
ihr das macht, ist eure Sache. Wlaubt aber nicht, baß eure
Feiride von hcute auf nwrgen — berm sie werben's trotz allev
Friedensfchlüsfe auch morgen noch sein — cuch gutwillig das
wenige gebcn werderi, was sie bcsitzen. Werdeu es riicht tun,
weil sie es bitter riotweribig selbst ll7auchen: werderi es nicht
tun, weil sie in euch den Konkurreuten wiitern und kennen.
Noch nie hat jemcmd dem KonkurrcrUen gcholsen, wenn er's
nicht rnußte. Bleibt uur eines übrig: ihr müszt fie zwingen
dazu.

Jhr feht, die Weißwurfcht ist w rgen nocb lange uicht
arif unserm FrühsLückstcller, auch weim ihr heute beu schönsten
aller Verständigungs- und Verbrüderurlgssriedeii schließt. Sie
rückt in um so weüere Fcrne, je mehr ihr Löutgegenkommen
zcigu Sie verschwmdet ganz, weun ihr noch tange um fie
ftermt, grcint unb winselt.

Und, nochmals gesagt, unsere göttliche Weißwurscht ist
hier nicht mehr und nicht wenigcr als bas Chmbol aller
Friedensgüter.

(„Süddeutsche Monatsheste", Januar 1918.)

o.. K/OsrZsI «F.

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