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Zweiter Abschnitt. Siebentes Kaxitel.

zur sittlichereu Gestaltung des bürgerlichen Lebens geboten sei, den Kloster-
zwang zu brechen, „weil Gott," wie Luther sagte, „es oft in der Schrift
bezeugen lasse, daß er keinen gezwungenen Dienst haben wolle, daß niemand
sein werden solle, er diene ihm denn mit Lust und Liebe," hatte sich
alsbald jene bedenkliche Frage entgegen gestellt, die Karlstadt mit seiner
unruhigen, alles überstürzenden Hast bereits zu lösen und zu entscheiden
unternommen hatte, indem er in einer besonderen Schrift im Einverständniß
mit den meisten seiner Anhänger erklärte, daß Priester und Mönche des
Gelübdes der Ehelosigkeit ledig seien. Luther's frommes und conservatives
Gennith war nicht so schnell über diese Frage hinweggekommen; vielleicht
hatten ihn die düsteren Erscheinungen seiner Wartburgeinsamkeit in dem
Herantreten dieser Frage eine tenflische Versuchung der Kinder Gottes
erkennen lassen. „Guter Gott, nun wollen unsere Wittenberger (Karlstadt
und Genossen) auch den Mönchen Weiber geben," hatte er an Spalatin
geschrieben; „mir sollen sie keines aufhängen — und hüte Dich nur, daß
Du nicht anch heirathest!" Aber trotz dieser persönlichen Abwehr und
freundschastlichen Warnung, konnte er doch nicht umhin, dieselbe Frage
mit inbrünstigem Gebet um Erleuchtung in dem eignen Herzen zu bewegen.
Deutlicher als je waren bei dieser Erwägung die Worte in sein Gedüchtniß
hervorgetreten, die einst sein Vater zu ihm gesprochen hatte: „Du glaubtest
einem Gebote Gottes zu folgen, als Du in das Kloster gingest, hast Du
nicht auch gehört, daß man den Aeltern gehorsam sein soll?" Und aus
dem Chaos des geistigen Kampfes gegen Priesterherrschaft und Mönchs-
wesen hatte sich Luther endlich auch in dieser Beziehung sicherer, klarer
und geläuterter erhoben, als alle, die ihm in der Erörterung oder Ent-
scheidung der Frage vorangegangen waren. Der Brief, den er von der
Wartburg aus, am 2l. November 1521 an seinen Vater geschrieben, und
den er nachtrüglich in lateinischer Sprache seinen Abhandlungen über die
Mönchsgelübde als Vorrede oder Widmung vorangesetzt hatte, kann gewisser-
maßen diesen Wendepunkt seines Lebens bezeichnenU „Willst Du mich
noch aus der Möncherei reißen," schreibt er, „Du bist noch mein Vater,
ich noch Dein Sohn, auf deiner Seite steht göttliches Recht und Gewalt,
auf meiner Seite steht menschlicher Frevel. Und sieh, damit Du Dich vor
Gott nicht rühmest, ist er Dir zuvorgekommen, er selbst hat mich heraus-
genommen!" Er hatte die Frage für das Allgemeine mit der Gewissen-
haftigkeit des besonnenen Reformators erwogen, aber indem bei der

* S. de Wette II, S. 99; Luther's Schrift: äe votis wonustieis N. Iwtireri
^nclieiuru.
 
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