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Maeterlinck, Maurice; Oppeln-Bronikowski, Friedrich von [Übers.]
Der Schatz der Armen — Florenz, Leipzig, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.37324#0070
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empfindet, ohne sagen zu können, an weichen Anzeichen man es erkennt:
— könnte man uns dies alles nicht durch irgend weiche Umformung der
Figuren näher bringen, während man die Schauspieier entfernte? Ist es
denn nur Zufall, wenn man uns versichert, dass die wahre, eigentiiche,
tiefe und aügemeine Tragödie des Lebens dort erst beginne, wo die
sogenannten Abenteuer, Schmerzen und Gefahren aufhören? Soüte
das Giück keinen längeren Arm haben a!s das Ungiück, und soüten
manche seiner Kräfte der menschlichen Seele nicht näher kommen?
Muss man auf alle Fälle heulen wie die Atriden, damit ein ewiger Gott
sich uns im Leben zeige, und lässt er sich nie zu unsrer stillen Lampe
hernieder? Ist nicht just die Ruhe furchtbar, wenn man darüber nach-
sinnt und die Sterne sie überwachen, und enthüllt sich der Sinn des
Lebens im Aufruhr oder in der Stille? Sollte nicht am Ende der Ge-
schichten, wo man uns sagt: „und sie wurden glücklich", die grosse
Unruhe erst ihren Anfang nehmen? Was trägt sich zu, dieweil sie glück-
lich sind? Enthüllt uns das Glück oder ein einfacher Augenblick der
Ruhe nicht ernsthaftere und beständigere Dinge als der Aufruhr der
Leidenschaft? Wird nicht gerade dann der Schritt der Zeit und viele
andere, noch geheimere Schritte, endlich sichtbar und die Stunden laufen
schneller? Berührt das alles nicht viel tiefere Saiten als der Dolchstoss
des gewöhnlichen Dramas? Und öffnet nicht, wenn ein Mensch sich vor
dem leiblichen Tode sicher glaubt, die sonderbare und schweigsame
Tragödie des Daseins und der Unermesslichkeit in Wahrheit erst die
Thore ihrer Bühne? Erreicht mein Leben nur dann seinen Gipfel, wenn
ich vor einem nackten Schwerte fliehe? Und ist es immer nur im Kusse
hocherhaben? Giebt es keine andren Augenblicke, wo man beständigere
und reinere Stimmen vernimmt? Blüht unsre Seele nur im Schosse von
Gewitternächten auf? Man könnte sagen, dass man dies bisher geglaubt
hat. Fast alle unsre tragischen Dichter haben immer nur das gewaltsame
und das verflossene Leben im Auge, und man kann behaupten, dass
unser Theater anachronistisch und die Dramatik um so viele Jahre zurück-
geblieben ist wie die Bildhauerkunst. Anders verhält es sich z.B. mit guter
Malerei undMusik, als welche es verstanden haben,die mehr verborgenen,
aber nicht minder schwerwiegenden und erstaunlichen Züge des jetzigen
Lebens zu entwirren und darzustellen. Sie haben bemerkt, dass dieses
Leben nur an schmückender Oberfläche verloren hat, um an Tiefe, 0^
 
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