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Maeterlinck, Maurice; Oppeln-Bronikowski, Friedrich von [Übers.]
Der Schatz der Armen — Florenz, Leipzig, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.37324#0102
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wie Mein muss auch soich ein Unterschied in den Augen eines Gottes sein!
Wir sind in einer Weit, wo die Wahrheit auf dem Grunde der Dinge
herrscht und nicht sie, sondern die Lüge einer ErMgrung bedarf Wenn
das Glück deines Bruders dich betrübt, verachte dich nicht! Du wirst
keinen langen Weg mehr haben, um in dir selbst etwas zu linden, das
es nicht betrüben wird. Und wenn du den Weg nicht machst: was thut
es? Etwas ist doch — nicht betrübt. . .
Wer an nichts denkt, hat dieselbe Wahrheit wie Der, welcher an Gott
denkt; sie ist der Schwelle ein wenig ferner; dass ist alles. „Selbst im
gemeinsten Leben", sagt Renan, „ist der Anteil dessen, was man für Gott
thut, ungeheuer. Der niedrigste Mensch liebt mehr, gerecht als ungerecht
zu sein; wir alle beten und beten an, ohne es zu wissen, und dieses oft-
mals am Tage." Und man ist erstaunt, wenn uns plötzlich ein Zufall die
Bedeutung dieses göttlichen Anteils enthüllt. Rings um uns giebt es tausend
und abertausend arme Wesen, die in ihrem ganzen Leben nichts Schönes
gesehen haben. Sie kommen und gehen im Schatten; man glaubt, alles
sei tot, und niemand giebt acht darauf Und dann kommt ein Tag, wo
ein einfaches Wort, ein unerwartetes Schweigen, eine kleine Thrgne, die
aus den Quellen just der Schönheit kommt, uns belehren, dass sie Mittel
und Wege finden, im Schatten ihrer Seele ein Ideal zu ßnden, das tausend-
mal schöner ist als die schönsten Dinge, die ihre Ohren vernommen und
ihre Augen gesehen haben. O edle und bleiche Ideale des Schweigens
und des Schattens! Ihr seid die ersten, die das Lgcheln der Engel wecken
und geraden Weges zu Gott aufsteigen! In welch zahllosen Hütten, in
welchen Höhlen des Jammers und Gefängnissen nghrt man Euch in diesem
Augenblick vielleicht mitdenThrgnen und dem reinsten Blute einer armen
Seele, die nie gelgchelt hat; gleich wie, wenn alle Blumen ringsum tot sind,
die Bienen der, welche ihre Königin sein soll, noch einen tausendfach kost-
bareren Honig darbieten, als den, welchen sie ihren kleinen Schwestern
des alltgglichen Lebens geben ... Wer von uns hat nicht mehr als Einmal
lgngs der Lebensstrassen eine verlassene Seele gefunden, die doch nicht
den Mut verloren hatte, so im Finstern einen Gedanken zu sgugen, der
göttlicher und reiner war, als alle, die so viele Andre Gelegenheit fanden,
im Lichte zu wghlen. Auch hier ist die Einfalt die Lieblingssklavin Gottes;
und es genügt vielleicht, dass einige Weise genau wissen, was zu thun ist,
damit der Rest handelt, als ob er es gleichfalls wüsste ...
 
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