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Lönne, Petra
Materialhefte zur Ur- und Frühgeschichte Niedersachsens (Band 31): Das Mittelneolithikum im südlichen Niedersachsen :: Untersuchungen zum Kulturenkomplex Großgartach - Planig-Friedberg - Rössen und zur Stichbandkeramik — 2003

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.68368#0023
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2. Arbeitsgrundlagen

2.1 Forschungsgeschichtlicher Überblick
und aktueller Stand der Forschung
Eine grundlegende Übersicht zur allgemeinen
Forschungsgeschichte (bis 1991) des mittelneoli-
thischen Kulturenkomplexes Hinkelstein, Groß-
gartach, Planig-Friedberg und Rössen ist jüngst
von Helmut Spatz (1996) vorgelegt worden, so
daß hier auf eine erneute detaillierte Darstellung
verzichtet werden kann1. Im folgenden sollen
unter Einbeziehung der Stichbandkeramik und
neuerer Arbeiten einige wesentliche Entwick-
lungszüge zusammengefaßt werden.
Bereits 1901 hatte der Heilbronner Arzt und
Hofrat Alfred Schliz aufgrund stilkritischer Über-
legungen an älteren und von ihm selbst in der Heil-
bronner Umgebung, vor allem auf dem Siedlungs-
platz Großgartach-Stumpfwörschig, geborgenem
Fundmaterial, das er als „Großgartacher Typus“
definierte, die Stilsequenz Hinkelstein (HST) -
Großgartach (GG) - Rössen (RÖ) richtig erkannt2.
Keramik des Hinkelsteiner Typs war bereits mit
dem 1866 untersuchten und zwei Jahre später
durch Ludwig Lindenschmit publizierten, epony-
men Gräberfeld von Monsheim-„Beim Hinkel-
stein“, Ldkr. Alzey-Worms, bekanntgeworden und
Alfred Götze hatte ein Jahr zuvor (1900) den „Rös-
sener Typus“ anhand der seit 1879 untersuchten,
eponymen Nekropole von Rössen, Ldkr. Merse-
burg-Querfurt, umschrieben3. Schliz hatte auch
bereits die Mittlerstellung der Planig-Friedberger
(PF) Keramik, die er in dem „Typus der Samm-
lung Gold“ vertreten sah, zwischen GG und RÖ
zutreffend eingeschätzt. Darüber hinaus fiel ihm
die Verwandtschaft von Hinkelsteiner Motiven
(Winkelbänder, Linienverzierung) und Gefäßfor-
men (Kümpfe) mit denen der „Linearkeramik“
(Linienbandkeramik) einerseits und die stilistisch
ältere Stellung der Rössener Keramik gegenüber
der Michelsberger Keramik (sog. „Pfahlbauty-

pus“) andererseits auf4. Bedauerlicherweise soll-
ten diese grundlegenden Erkenntnisse aber erst
rund 70 Jahre später allgemeine Anerkennung fin-
den. Schliz irrte jedoch in der Hinsicht, daß er die
differenzierten Stile aufgrund der häufiger von
ihm beobachteten Fundvermischungen nicht als
sukzessive aufeinanderfolgende Stilepochen ver-
stand, sondern glaubte, „daßs alle diese Typen der-
selben Bevölkerung angehören und zeitlich nicht
allzuweit auseinander liegen könnten“ und dem-
zufolge von einer Zeitspanne von maximal drei
Generationen (etwa 100 Jahren) ausging5.
In der Linienbandkeramik (LBK) wollte er hinge-
gen eine „einheitliche Volkskunstübung“ erken-
nen, die im wesentlichen gleichzeitig mit den Sti-
len HST, GG, PF und RÖ bestanden habe und sich
nur durch die Funktion der Gefäße, erstere (LBK-
Gefäße) als „Gebrauchsgeschirr für den Haus-
halt“ und letztere als „Ziergefäße“, unterscheiden
sollte6. In Anlehnung an die Dissertation Götzes
(1891) wollte er darüber hinaus auch einen Zu-
sammenhang von Großgartacher und Rössener
Keramik mit der Schnurkeramik rekonstruieren7.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, darunter
Carl Schuchhardt (1914), fanden die in vielerlei
Hinsicht richtigen Hypothesen Schliz’ bedauerli-
cherweise nur wenig Zuspruch8. Einen heftigen
Widersacher fand Schliz vor allem in dem Worm-
ser Sanitätsrat Carl Ludwig Koehl, der in den
1890er Jahren mehrere Hinkelstein-Gräberfelder
in der Umgebung von Worms untersucht hatte
(vgl. auch Kap. 4.3.I)9. Aus stilistischen Erwägun-
gen wollte Koehl (1900, 1902, 1903) HST (als
„ältere Winkelbandkeramik“) chronologisch vor
dieLBK (als „Spiral-(Mäander)-keramik“) setzen,
der dann das (unschlüssig) als „jüngere Winkel-
bandkeramik“ bezeichnete Rössen folgen sollte,
das über den sog. „Albsheimer Typus“ wiederum
in genetischem Zusammenhang mit HST gestan-

1 Siehe Spatz 1996, 20-38; 1988.
2 Schliz 1901, 37.
3 Lindenschmit 1868. Götze 1900, (251)-(253).
4 Schliz 1901, 28, 37.
5 Schliz 1901, 37; 1902, 45.
6 Schliz 1901, 38. Vgl. Spatz 1996, Anm. 48.
7 Schliz 1901, 36.
8 Vgl. Schuchhardt 1914, 302.
9 Siehe dazu Spatz 1996, 22-23; zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung C. Koehl mit A. Schliz vgl. auch Spatz 1999a,
114-127.

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