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Mansberg, Richard von
Wâfen unde Wîcgewaete der deutschen Ritter des Mittelalters — Dresden, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.16637#0003
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DAS RITTERTUM.

Hiob 40, 5—7: Schmücke dich mit Pracht und erhebe
dich, zeuch' dich löblich und herrlich an. Streue
aus den Zorn deines Grimmes, schaue an die
Hochmütigen, wo sie sind, und demütige sie, ja
beuge sie und mache die Gottlosen dünne, wo
sie sind.

enn das Mittelalter nach der gebräuchlichen Einteilung

Welt und Ereignisse vom 5. bis zum 15. Jahrhundert
umfassen soll, so muss der tausendjährige Zeitraum
eine so grosse Manniehfaltigkeit in der Erscheinungen
Flucht offenbaren, dass, um solche culturhistorisch ganz
zu erfassen, stets nur gewisse Abschnitte in Frage
kommen können. Einen wichtigen Abschnitt, vielleicht
den wesentlichsten des Mittelalters, bildet die Erscheinung des Ritter-
tums, welches erst im 12. Jhrt. mit dem ihm eigenartigen Relief her-
vortrat, um die Wende des 13. und 14. Jhrts. seinen Glanzpunkt erreichte,
leider bald dem Verfalle sich zuneigte, um als verblasstes Ahbild
früherer Grösse im Laufe des 15. völlig zu ersterben. Die eigentliche
Blütezeit des Mittelalters fällt somit zusammen mit der des Rittertums,
das letztere bietet daher für die Culturgeschichte ein so durchgreifendes
Interesse, wie kaum eine zweite Erscheinung in dem Lehen unseres
Volkes und seiner Geschichte.

Der seit drei Jahrhunderten übliche Cultus der Antike hat durch
seine Übertreibung das deutsche Leben und Wesen in Missachtung
gebracht, eine beklagenswerte Vernachlässigung hat den grössten Teil
des Volkes in arger Unkenntniss über seine eigene Jugend gelassen;
dazu kommt, dass der demokratische Geist des 19. Jhrts., abhold allen
aristokratischen Erscheinungen, nur mit einer gewissen Voreingenommen-
heit an das Zeitalter des Rittertums heranzutreten pflegt, während der
moderne Freigeist und der nüchterne „Kampf ums Dasein" durchaus
keinen Sinn für die Ideale des Mittelalters besitzen. Um so erfreu-
licher wirkt bei solcher Sachlage die unverdrossene Arbeit der Germa-
nisten, die sich in der gemeinnützigen Richtung bemerkbar macht, das
deutsche Volk über seine Vergangenheit, seine eigentliche organische
Entwicklung aufzuklären. Wohl ist noch viel zu ergründen und all-
gemein fasslich zu beleuchten, bis die Carricaturen einer tendenziösen
Entstellung und die Gespenster der Romanlitteratur aus dem Gesichts-
kreis selbst der Gebildeten gänzlich entfernt worden sind, immerhin
beweisen das erwachte Interesse an der herrlichen Poesie des Mittel-
alters und das wachsende Verständniss für die Bearbeitung nationaler
Stoffe den stets regen und zur Freude neuerdings gesteigerten histo-
rischen Sinn des Deutschen; deutliche Kundgebungen lassen keinen
Zweifel darüber, dass man nicht blos den Errungenschaften der Natur-
wissenschaft, sondern auch der vaterländischen Geschichte Aufmerk-
samkeit in weiteren Kreisen zu widmen gesonnen ist, dass das Volk
sich wieder erwärmen will an den Idealen, die einstmals ihm vor-
geschwebt in seiner Jugend. Trotz oder vielleicht wegen des sich
gewaltig breit machenden fatalistischen Naturalismus scheint die Zahl
Derer zu wachsen, die sich noch zu erfreuen vermögen an dem Idealis-
mus des Mittelalters, seiner Grösse, seinen Wundern.

Mögen Mangel an Pietät und intensiver Personencultus, wie er
mit der Renaissance begann, wenig Verständniss und Geschmack be-
sitzen für Demut und Würde im Mittelalter, für den eigentümlichen
Zug, nur Taten, nicht Namen gelten zu lassen und dabei doch erstere \ trübt, die den Stolz auf eine lange Reihe würdiger und geehrter Vor

als so selbstverständlich anzuschauen, dass man sie nicht der Nachwelt
durch besondere Biographen zu überliefern für nötig hielt. Über
Geschmacksrichtungen lässt sich eben nicht streiten, aber befremdend
eigentlich und herb für den Vaterlandsfreund ist die Wahrnehmung,
dass einzelne Schriftsteller sich formlich darin gefallen, die Jugendzeit
unseres Volkes zu schmähen, unausgesetzt ihre (oft nur versteckten oder
mittelbaren) Angriffe gegen die überall zu findenden Schwächen, gehässig
dargestellte Nachtseiten, zu richten, alles unter der Flagge der Wissen-
schaft, entweder das Gute verschweigend und vertuschend, oder völlig
blind für das Grosse und Schöne, das in jener Zeit uns entgegentritt
und dem unbefangenen Beobachter das Herz erwärmen muss. Dieser
Ausfluss des Geistes, der stets verneint, findet seine Erklärung zumeist

durch die ungeheuerliche Selbstüberschätzung in der Gegenwart, welche
um jeden Preis den modernen, in so mancher Beziehung anfechtbaren
Zuständen ein höheres Relief verleihen will auf Kosten der Ver<ran«;en-
heit. Und doch ist die Vergangenheit Deutschlands gerade im Mittel-
alter nach zahllosen Richtungen eine so preiswürdige, wie kaum ein
anderes Volk einer gleichen sich rühmen darf, denn was wir haben,
was wir sind, was das deutsche Volk gross und ehrwürdig gemacht,
Alles wurzelt in jener bewegten, ritterlichen Jugendzeit. Man sollte
meinen, nur ein Schelm könne das Verdienst seiner Väter missachten,
aber kein ehrlicher Deutscher jene Zeit schmähen, in der ein Walter
mit Fug und Recht singen durfte:

Don ber €lbc 11113 an ben Hin unb Ijer unebev 11113 an oer Unger lant
mngen t»oI 6ie beften flu, bie id) in bor t»erlte l)An erfant.
lian id) refyte fd)ontr>en gnot gefe.3 nnb lip,
fam tnir (Bot, fö fitniere id) tool, baj l)ie bin nnp,
bcjjcr ftnt beim' anber froutüen.

©nfdje man fint rool ge3ogen, rel)te als enget ftnt biu tm'p getan;
ftpet fie fd)iltet, bcr'ft betrogen: id) enfän ftn anbers ntljt »erffätt.
Cugent nnb reine mimte, fmer bie fuodjen n>il,
ber fol Pomen in unfer laut: ba ift trmnne »11.
£ange müeje id) leben bar tnnel

Manche Kritiker des 19. Jhrts. vermögen freilich nur mit der öden
Verstandeskritik und der Gefühlsdürre eines Voltaire an die Cultur-
geschichte heranzutreten, in der sie nur Schlechtes, Verdammungs-
würdiges entdecken; sie betrachten dieselbe als unerfreuliche Beschäfti-
gung und huldigen dabei dem socialdemokratischen Zuge unserer Zeit,
der jedwede Scheidewand zwischen den verschiedenen Ständen bald
beseitigt zu sehen glaubt, letztere nur für einen Rest der Barbarei
des Mittelalters hält. Dieser Zug in allen seinen Schattirungcn vergisst
allerdings, dass nach dem erfolgreichen: öte-toi, que je m'y mette des
sogenannten dritten Standes alsbald das Streben eines vierten Standes
nach Herrschaft hervorgetreten, dass nach einem etwaigen Siege dieses
Standes mit Naturnotwendigkeit sofort ein fünfter Stand sich heraus-
bilden würde mit ähnlichen Ansprüchen. Endlich giebt es auch nicht
Wenige, deren geschichtlichen Rückblick ein gar hohes Selbstgefühl

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