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Mansberg, Richard von
Wâfen unde Wîcgewaete der deutschen Ritter des Mittelalters — Dresden, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.16637#0004
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führen mit sittlicher Entrüstung als Junkertum und vermessenen Dünkel
zurückweisen, dal »ei jedoch völlig vergessen, dass die gebrandmarkten
„Standesvorurteile" von ihnen lediglich den oberen Ständen vorgeworfen
werden, während sie eine Ueberschätzung des eigenen Standes oder des
eigenen Ichs für durchaus berechtigt halten.

Das beliebte Dogma von der Gleichheit aller Menschen ist be-
kanntlich unvereinbar mit gewissen unabänderlichen Grundeigenschaften
und Trieben, sowie mit dem wirklichen Wesen des Menschen, insonder-
heit mit dem Triebe nach Ehre und Auszeichnung. Wenn man als
Ehre die gute Meinung bezeichnen darf, die Andere von uns haben,
so ist das- Bestreben, diese gute Meinung zu erwerben und zu erhalten
schon bei dem Kinde das Zeichen der beginnenden Verstandesbildung
und wird bei dem heranwachsenden Menschen immermehr die Richt-
schnur seines ganzen Verhaltens. Da der Einzelne nur selten seine
Vorzüge zur Anerkennung bringen kann, so verbindet er sich zu diesem
Zweck mit Gleichgearteten, und hieraus ergiebt sich die Standesehre.
Im lebhaften Standesbewusstsein dünkt sich der Meister erhaben über
den Gesellen, dieser über den Lehrburschen, der Kunsthandwerker über
den gewöhnlichen Arbeiter, jeder Stand hat seine Ehre und soll diese
Standesehre besitzen, denn sie ist die notwendige Trennung der Menschen
nach Geburt und Beruf, nach Neigungen und Fähigkeiten, da der
Einzelne nur im Anschluss an Gleichgesinnte einen sichern Halt findet.
Die Lehre von der absoluten Gleichheit ist eine Utopie ohne alle Basis,
weil die Bildung der Stände auf Naturnotwendigkeit beruht, weil wir
täglich beobachten können, wie der Trieb aller Menschen, sich vor
denen hervorzutun, die sie körperlich oder sittlich oder geistig unter
sich stehend glauben, sie zum Anschluss an Gesinnungsgenossen führt,
woraus schon in frühester Zeit ganz von selbst Gruppen, Körper-
schaften u. s. w. entstanden sind, bis ein ganzer Stand fertig war, der
mit denselben in der Natur jedes Menschen begründeten Gefühlen auf
einen anderen Stand gewissermassen herabsah, mit welchen der geschickte
und tüchtige Arbeiter vor dem ungeschickten oder nachlässigen etwas
voraus haben will. Die verschiedenartigen Schattirungen des Ehrgefühls
darf Niemand ohne weiteres verdammen, eben weil sie alle darin über-
einstimmen, dass sie ihre Träger befähigen, sich über andere zu erheben,
und darauf läuft schliesslich alle Ehre hinaus. Der Lichtseiten des
Ehrgefühls sollen wir uns freuen und darüber die Schattenseiten nach-
sichtig beurteilen, gleichwie man das Licht der Sonne preiset, obwohl
es nicht selten unsere Fluren versengt. Wegen einzelner Ausschreitungen
des Standesbewusstseins, der Ehrsucht, darf es Niemandem einfallen, das
Ehrgefühl in den Menschen ersticken zu wollen, alle damit im innigsten
Zusammenhang stehenden Erscheinungen zu missbilligen oder gar zu
verdammen. Keine andere Erscheinung aber beruht so unmittelbar auf
dem Triebe nach Ehre und Auszeichnung, wie gerade das Rittertum.

Die massgebendste Anregung zur Entwicklung des Rittertums lag
in den merkwürdigen Heeresfahrten nach dem Morgenlande, ihren Ver-
anlassungen und Folgen. Die Begeisterung, mit der eine jugendliche
Welt dem gegebenen Anstosse folgte, die zu Grunde liegende Schwärmerei
und hingebende Opferwilligkeit, die Romantik der Gefahren und Abenteuer
in dem Zauberlande der Wunder und Märchen, des Sonnenglanzes und der
Farbenpracht, das Durcheinanderwerfen aller Völker des Abendlandes
zu einem grossen, geheiligten Zwecke — alles Das musste die Menschen
im Innersten umwandeln, ein neues Leben, ein neues Denken und Fühlen
in ihnen hervorrufen. Die Idee der Kreuzzüge hat zwar eher sich
Balm gebrochen bei unseren westlichen Nachbarn (Niederland, Frank-
reich), und manche ihrer unmittelbaren Folgen (Namen, Wappen) sehen
wir deshalb allmählig von Westen nach Osten durch und in Deutsch-
land Platz greifen, allein bald ergriff der Kreuzeseifer ernst und gewaltig
die deutsche Nation und um die Mitte des 12. Jhdts. war eine neue
Welt in Deutschland fertig, der wie mit einem Schlage das Verständniss
für Schönheit des Geistes und der Seele aufgegangen war. Zu den
nächsten der für die gesammte Cultur schier unermesslichen Folgen
gehörte die Bildung des Rittertums, hauptsächlich durch die Präcisirung
des Begriffs vom ritterlichen Wesen und Leben. Die Slavischen Völker,
welche an den Kreuzzügen sich nicht beteiligten, haben niemals ein
Rittertum besessen. Dass die Ethik desselben in den Anschauungen

mittelalterlicher Kirchenlehrer wurzelte, ist selbstverständlich, denn die
ganze damalige Wissenschaft beruhte auf Autorität und Tradition, die
Philosophie war ein Erkennen und Begreifen gegebener Wahrheiten, und
alle Kenntnisse wurden als Einleitung zur Theologie von dem Heiligen-
schein der Kirche umfasst. Gleichwohl hat die Ethik des Rittertums
eine ganz eigentündiche, von der der Asceten und Mönche durchaus
verschiedene Gestaltung gewonnen.

Erst in den Kreuzzügen hatte man durch Vermittlung der Araber
Bekanntschaft mit den physischen und metaphysischen Schriften des
Aristoteles, des Heros der Scholastik, gemacht; die peripatetische Philo-
sophie drang jedoch nicht in ihrer ursprünglichen Form, sondern stark
mit neoplatonischen Anschauungen durchsetzt, nach dem Abendlande,
überdies wurde der Piatonismus der Alexandrinischen Schule mehr und
mehr zum Liebling der mystischen Religionsphilosophie des Mittelalters,
denn Piaton, der die Gedanken von den natürlichen Dingen zu ihrem
Schöpfer emporführt, lehrte erst die reine Wahrheit. Demgemäss wurde
das „Gute" zum Mittelpunkte der Weltanschauung, und dieses Gute
beruhte für den Menschen in seinem Habitus, seiner Fertigkeit zum
Guten, mit anderen Worten auf den Tugenden, an deren Spitze nach
Piatons Republik die später mit Vorliebe personificirten Justitia,
Temperantia, Fortitudo, Prudentia (dixcuoovvrj, awcpQoövVTj, uvS^ua,
öotpta) standen, über diese weltlichen Tugenden stellte die Kirchen-
lehre naturgemäss Fides, Caritas, Spes {nlang, cpdia, tlmg). Der
Begriff des Guten als Endziel alles durch Tugend zu Erreichenden,
also die mittelalterliche (aelbe (althochdeutsch faltba, gothisch jelttrjDa),
das Gutsein, auch das Gutgeraten, fioss in der christlichen Religions-
philosophie des Mittelalters zusammen mit dem Begriff der beatitudo,
welche in ihrer Vollkommenheit in dem Anschauen und Genüsse der
Gottheit bestehet, durch welche der Intellect und der Willen des Menschen
vollkommene Befriedigung finden. Obzwar die völlige beatitudo nur
in jenem Leben erreichbar, so ist doch in diesem Leben schon eine
unvollkommene Seligkeit zu finden, die dem Tugendhaften teils in der
Hoffnung der himmlischen Seligkeit, teils in einem beginnenden Genuss
derselben, gleichsam in einem Vorgeschmäcke, gewährt wird. Ohne auf
die Einzelnheiten der mittelalterlichen Philosophie einzugehen, dürfte
zum Verständniss der Tugendlehre und ihrer praktischen Gestaltung
im Leben des Ritters ein kurzer Hinweis genügen, unter Anlehnung
an des grossen Thomas von Aquino Summa Theologia.

Erlangt die Seele nach der einen (oder andern) Richtung, d. h.
nach dem Guten (oder nach dem Bösen) eine gewisse Fertigkeit (habitus),
so heisst diese Tugend (oder Laster), welche man auch als Vollkommen-
heit einer Seelenkraft bezeichnet, die auf das gute (oder böse) Handeln
gerichtet ist. Demgemäss werden die Tugenden (Laster) zunächst nach
den beiden Seelenkräften, dem Intellect und dem Willen, in intellectuelle
und moralische eingeteilt, je nachdem sie eine Vervollkommnung des
einen oder des anderen sind. Von den intellectuellen Tugenden haben
wir hier nur die dem praktischen (nicht speculativen) Verstände an-
% gehörende prudentia in Betracht zu ziehen, weil sie im Verein mit
den drei moralischen Tugenden justitia, temperantia, fortitudo die vier
weltlichen Cardinaltugenden ausmacht. Ausser der durch diese zu
erwerbenden Glückseligkeit giebt es aber noch eine höhere Seligkeit,
die in einer gewissen Teilnahme am göttlichen Wesen besteht, und zu
deren Erwerbung sind höhere Tugenden nötig, die der Mensch nur
dadurch erlangen kann, dass ihm von Gott etwas gegeben wird, ohne
dass das freie Eingreifen von Seiten des Menschen dadurch ausgeschlossen
ist. Diese Tugenden heissen die theologischen, weil sie Gott zum
Gegenstande haben und in der Hauptsache nur durch göttliche Offen-
barung uns zukommen. Obwohl die fides der intellectuellen Sphäre
angehört, hat doch der Mensch durch einen Act seines Willens den
speculativen Verstand der Offenbarung unterzuordnen, was dem auto-
ritätsbedürftigen Mittelalter nicht schwer wurde. Von den der Sphäre
des Willens angehörenden spes und Caritas richtet erstere den Menschen
nach seinem Ziel, als nach etwas Erreichbarem, während letztere ihn
in jenes Ziel gleichsam umwandelt. Zwar lag es im Geist des Mittel-
alters, dem vorzugsweise nach Erwerbung intellectueller Tugenden
strebenden beschaulichen Leben (vita contemplativa), als direct auf die
 
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