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Mansberg, Richard von
Wâfen unde Wîcgewaete der deutschen Ritter des Mittelalters — Dresden, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.16637#0005
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Liebe Gottes gerichtet, das höhere Verdienst beizumessen, allein das
tätige Leben (vita activa) bot einen Allen genügenden Weg, um znr
beatitudo zu gelangen, für den Rittersmann den einzig massgebenden,
der zunächst und hauptsächlich auf Erlangen der moralischen Tugenden
gerichtet war. In Summa war es also der erstrebte Besitz der sieben Cardi-
naltugenden, welcher den altgermanischen Recken in die ansprechendere
Gestalt des Ritters verwandelte, diesen gegen das Böse, die Untugend
waffnen sollte.

Fides in der Auffassung als Religion und Religiosität stand für
jeden Christen obenan, wenngleich sie für das Mittelalter kaum getrennt,
losgelöst von der Caritas gedacht werden kann, weil in der letzteren,
eigentlich höchsten Tugend, alle moralischen Tugenden vereinigt sich
finden, so auch der Glaube durch sie erst zur Vollendung kommt.
Jedenfalls galt für den Ritter der Grundsatz: oberftes cuiot bü3 tft
unter r/erc (Bot, denn die DOrr/te (Sotes sollte die Grundlage alles
Lebens und Strebens sein. An der allerheiligsten Stätte, wo der Stifter
des christlichen Glaubens einst gewandelt, gelehrt, gelitten, der Stätte,
welche dem Feinde dieses Glaubens das christliche Schwert in den Kreuz-
zügen entrissen, dort hatte das dreifach schöne Gebot religiöser Begeiste-
rung, aufopfernder Nächstenliebe und christlichen Heldenmuts die geist-
lichen Ritterorden geschaffen, und in der Hauptsache wurden diese
Orden das Vorbild für den allen Edlen des Volkes offenen allgemeinen
Ritterorden, eine Würde, um die sich König und Fürst, wie der letzte
adlige Vasall mit gleichem Eifer bewarb. Hohe und würdige Ziele,
schöne und tiefe Ideen kennzeichnen die Ausbildung auch des welt-
lichen Rittertums, aber das Erhabenste blieb die für das Mittelalter
charakteristische DOrI?t (althochdeutsch forabia). Erst auf dem goldenen
Hintergründe der Gottesfurcht tritt das schöne Relief des Rittertums
ganz verständlich hervor; ja, alsbald begann seine Blüte zu welken,
verstummte sein Dichtermund, als die religiöse Begeisterung nach den
Kreuzzügen erstarb.

In dem Zeitalter der Zola, Ibsen, Häckcl u. s. w. wird diese Be-
geisterung dort schwerlich Anerkennung finden, wo man nur „Rohheit,
Aberglauben, Finsterniss" als Schlagworte zur Bezeichnung des Mittel-
alters kennt, dagegen die Einheit von Glauben und Wissen, von Poesie,
Kunst und Wissenschaft belächelt, die uns zur Blütezeit des Mittelalters
in voller harmonischer Schönheit entgegentritt. Gottesgelehrtheit und
Weltweisheit waren damals keine sich widersprechenden Begriffe, es
gab nur eine Wahrheit, zu deren Beglaubigung alle Stimmen des
Himmels und der Erde in einem wundervollen Accorde sich vereinigten.
Die hehre Sonne des geoffenbarten Christenglaubens durchstrahlte das
sogenannte Dunkel des Mittelalters mit Wonne und Wärme, schuf das
unerschütterliche Gottvertrauen und den tiefen Frieden der Seele, jenen
Frieden, der unberührt von allem in der äusseren Welt tobenden Kampfe
blieb, ein köstliches Gut der Menschen, die vor der Herrschaft des
Gemütes willig sich beugten. Fast hat es den Anschein, als ob die
letzten Strahlen dieses göttlichen Lichtes auf die ebenso geistreich, wie
gefühlsarm gewordene Neuzeit fielen, um, wie einzelne Lichtstreifen an
der Neige eines sonnigen Tages, die immer länger werdenden Schatten
auf dem Wege der Menschheit zu unterbrechen. Glücklicherweise
brauchen wir nicht an einen dauernden Erfolg der frevlen Angriffe auf
alle idealen Güter der Menschheit zu glauben; würden doch die An-
greifer selbst bald genug zu eigenem Entsetzen bemerken, welch' tiefe
Nacht Geist und Gemüt der Menschen umdüstern müsste, wenn jemals
der Sieg der Materie über den Geist entschieden werden könnte. Dann,
ja dann freilich wird Niemand mehr den tiefen Glauben und die
religiöse Begeisterung des Ritters würdigen, der nicht civilisirt genug
war, um Fatalismus, Atheismus und ähnliche Erzeugnisse moderner
Cultur begreifen zu können.

Caritas oder mtnne, in Bezug auf Gott fliesst mit der fides
zusammen zur Frömmigkeit (tvotßtta TTtyi 0s6v), denn DtUtH war
ursprünglich Alles, was ganz das ist, was es sein soll, daher
urümeebeit das Gute, die Vortrefflichkeit, Rechtlichkeit. Allerdings
gewann die Caritas als gotesmilttte jener Zeit noch einen besonderen
poetischen Ausdruck, indem die allerseligste Jungfrau und Gottesmutter
seit dem 12. Jhrt. in der Symbolik an die Stelle der Kirche und ihrer

A Personification im Bunde mit dem Höchsten getreten war. Christus
ist der himmlische Bräutigam, der rt>CU*e mittUCiere geworden in dem
bliocb DOn ber mirttte, wie man das Lied der Lieder oder Hohelied
hiess, und viele der ritterlichen Sänger weiheten Sang und Saitenklang
unfer lieben Dremmen, ber reinen maget, innig, sinnig und lieblieh, wie
Plastik und Malerei der Verherrlichung der Himmelskönigin sich wid-
meten. Die aufopfernde Nächstenliebe der geistlichen Ritterorden sollte
bei dem weltlichen sich offenbaren in der noch heute als ritterlich ge-
priesenen Bereitwilligkeit, mannhaft und jederzeit einzustehen für das
unterdrückte Recht, für Alle, die keine Waffen führen; das ritterliche
Gelöbniss bei der (mertlette forderte direct, die Wittwen und Waisen
zu schützen und sich der Bedrängten zu erbarmen.

Es ist bekannt genug, wie auch im rein weltlichen Sinne die
mimte das Gepräge einem Zeitalter aufdrücken musste, wo es durch
die Harfen Tausender von Sängern rauschte, um einzig der Herrschaft
des Gemütes zu huldigen, wo der Frauendienst untrennbar vom Ritter-
leben war. Die hie und da vorkommende schärfere Betonung des sinn-
lichen Elements oder eine freie, kühne Regung, die sich ausnahmsweise
über die gewöhnlichen Verhältnisse hinwegsetzt, überhaupt die Aus-
schreitungen im guten wie im bösen Sinn, in der Richtung des Gegen-
satzes (Hass, Rachsucht), kurz, die Flammen der Leidenschaft, wer darf
sie einer Zeit der mächtigen, ungeschwächten Jugendkraft verdenken?
Gewiss nicht das Geschlecht jener moralischen Pygmäen, die Liebe und
Hass nur abwägen je nach dem von beiden zu erwartenden, berech-
nenden Vorteil. Höher und freier schlugen damals die Herzen, darum
auch wilder und leidenschaftlicher, und kein gefühlsarmer Gelehrter,
kein feister Philister hat das Recht, ob der ungebrochenen Jugendkraft
die Väter zu schmähen. Beherzigenswert für das Wesen des Ritter-
tums ist auf alle Fälle, dass die mtnne ein ehrenvoller Dienst war,
der den Ritter anregte, durch glänzende Taten, aber auch durch Mensch-
lichkeit und feine Sitte, kurz, durch ritterliche Leistungen und Vorzüge
seiner Dame Ehre zu machen und ihre Gunst zu verdienen.

Spes war dem Ritter baj gebinge oder die feste Zuversicht, seinen
Wunsch (fyober ruünfcbe nil mantger Nib. 1215), die (aelbe, im Himmel
und, auf Erden zu erreichen. Die faelbe begegnet uns sogar personi-
ficirt als nroume Sctclbe, Segensgöttin, Geberin alles Guten, auch Aus-
drücke, wie der Saelben=Scbht = Sonne des Segens, stossen auf. Wie
der faelben rrwnfcb, der faelbett ürtlbj, andrerseits der 3rt>it>el als Gegen-
satz des gebinge schön mit der Gralsage oder dem Inbegriff alles reli-
giösen und sittlichen Strebens im Mittelalter sich verweben, hat uns
am vollkommensten Wolfram, der grosse Sänger, Philosoph und Ritter,
in seinem unvergleichlichen Parzival (z. B. 238, 370 u. s. w.), dem „hohen
Liede des Rittertums", vermittelt. Hierbei ist jedoch sehr wohl zu
beachten, dass der beglückende Besitz geistiger und weltlicher Güter
für das gebinge in Frage kam. Gegenüber den ganz undurchführbaren
Anschauungen apathischer Weltflucht hat das verständigere Rittertum
den Wert des Besitzes, gewissermassen als Zubehör zu der Würde des
Mannes, sehr wohl erkannt, die verliehenen oder erworbenen irdischen
Güter an sich nicht für sündhaft, nur deren richtige Verwendung für
notwendig gehalten, eingedenk der Vorschrift: „Wem viel gegeben, von
dem wird man viel fordern", oft umgesetzt in „Noblesse oblige".

Justitia im Sinne der Platonischen iiixaioavvq, Rechtlich keil,
aufgefasst, wurde, wie schon im Neuen Testament der fajuoorn,
entsprechend, als Wohltätigkeit zu der wichtigen Cardinaltugend, die
als milte oder miltefeit sehr in den Vordergrund trat. Freigebigkeil.
Gastlichkeit waren echt altgermanische Tugenden von der Urzeit her,
der Begriff des milteclicb oder reichlich wurde fast untrennbar von dem
Begriff des irgendwie mit Glücksgütern gesegneten Ritters; ja, eben
das zu Reichliche in der Ausübung dieser Tugend hat nicht wenig
zuni äusseren Verfalle des Rittertums, zur Verarmung des hohen und
niederen Adels beigetragen. Darum aber sollte1 das Herz des Ritters,
offen für Alles, was das Leben zu verschönen und zu verklären im
Stande ist, jedem Freunde des Schönen in dankbarer Erinnerung bleiben.
Dass das in Wahrheil kunstbedürftige Rittertum den durch die Kunst
geläuterten und verschönten Genuss liebte, das ist eine der Haupt-

, Ursachen, welche die herrliche Kunstblüte Deutschlands im 13. Jhrt
 
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