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Mansberg, Richard von
Wâfen unde Wîcgewaete der deutschen Ritter des Mittelalters — Dresden, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.16637#0058
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der Wirklichkeit konnte aber der »stupenden Gelahrtheit« der Herolds-
ämter, und überhaupt nicht den Geistern der Barockzeit genügen; man
ging nun schon ganz systematisch vor, verwandelte das heraldische Veh-
pelzwerk in Eisenhüte, Rüben in Füllhörner, wirkliche Horner in Ele-
phantenrüssel, Hüte in Tatarenmützen oder Fürstenhüte, Blätter in
Herzen oder Schröterhörner oder gar in aufflackernde Brände, schlichte
Werkzeuge des Friedens in grausame Waffen, deren manche dem Mittel-
alter ganz unbekannt gewesen. Man wusste für neue Auffassungen der
Wappenbilder immer neuere und drolligere Märchen zu ersinnen, in
welchen namentlich Carl der Grosse und Wittekind, der Sachsenherzog,
zum Mindesten Heinrich der Finkler oder Friedrich der Rotbart eine
grosse Rolle spielten. Consequenz war dabei Nebensache, und die Ver-
wirrung wurde allmählig eine so heillose, dass manche alte Schildesfigur
bis zu völliger Unkenntlichkeit verstümmelt wurde und heute nicht
mehr in den ursprünglich ihr beigelegten Charakter zurückzuversetzen
ist119); wir wissen nur soviel, dass sie nicht das bedeuten könne, was
ihr die Renaissance- und Roccocoperiode untergeschoben hat. Der
Zeitgeist, der die Wappenmärchen zumeist aus reiner Gefälligkeit für
vornehme Wappeninhaber erfand, konnte sich mit dem schlichten Ver-
fahren des Mittelalters, die alltäglichen Gerätschaften des Hauses und
der Wirtschaft auf den Schild zu setzen, nicht mehr befreunden und
begnügen; er konnte es nicht begreifen, dass im Mittelalter Bilder
niemals als Erinnerungen an eine historische Begebenheit angenommen,
dass vor dem 15. Jahrhundert überhaupt keine Wappen verliehen
worden sind1'20). Ebenso fremd, wie die Anspielungen auf geschicht-
liche Ereignisse, war der mittelalterlichen Heraldik jene wüste Symbolik
der Barockzeit, welche in den heraldischen Figuren Sinnbilder allge-
meinen Gedankeninhalts, sogar sinnbildliche Darstellungen moralischer
Eigenschaften oder philosophischer Gedanken erblickte 121). Wohl
offenbart sich nach dem, was wir oben gesagt, in der mittelalterlichen
Heraldik ein symbolischer Typus als Ausfluss der dem Mittelalter über-
haupt eigenen symbolisirenden Darstellungsweise, aber die heraldische
Darstellung selbst ist stets das ornamental gestaltete und also verwertete
Bild eines individuell genau bestimmten Urbildes. Dieses Urbild kann
deshalb nur in jedem einzelnen Falle durch historische Forschung
gesucht und festgestellt werden.

Nicht oft genug kann man wiederholen und betonen, dass die
Symbolik der Wappen im 13. Jahrhundert in der Hauptsache auf
Ubersetzung des Namens oder Besitzes in Zeichen sich beschränkte,
dass etwaige andere Anspielungen nur auf einen damals, bei der

119) Wie schnell und rücksichtslos in der Renaissanceperiode Auffassung und
Deutung und danach wieder die Figuren geändert wurden, stellt die Mehrzahl der Wappen
klar, welche man genau in der Entwicklung zu verfolgen im Stande ist. Der Schild der
Tewfl von Pichel oder Teuffei von Bühel in Baiern war gold mit blauem Schrägbalken;
auf diesem Schrägbalken nun finden wir (vergl. Correspondenzblatt des Gesammtvereins
deutscher Geschichts- und Altertumsvereine. Juli 1885) im Jahre 1450: drei grosso
Kleeblätter, in der Längsrichtung des Balkens übereinander, 1540: die Blätter in einen
stilisirten Laubkronenreif am Rande des Balkens verwandelt, 1657: statt des Laubkronen-
reifs am Rande nunmehr in der Mitte des Balkens eine wirkliche heraldische Krone. Die
Kronensucht wurde im 17. und 18. Jahrhundert eine geradezu lächerliche; es gab bald
kein Wappentier mehr, dem man nicht eine Krone aufs Haupt gesetzt hätte.

120) Ein ganz wesentlicher, charakteristischer Unterschied zwischen Uradel und
Briefadel liegt gerade in dem Umstände, dass letzterem ein Wappen durch Diplom ver-
liehen wurde, während der Uradel sein Wappen sich selbst gewählt und nach Befinden
verändert hat. Allerdings ist mancher dem Uradel angehörenden Familie in spätrer Zeit
durch Diplom eine Standeserhöhung widerfahren, die in der Regel mit einer Grausen
erregenden Wappenvermehrung verbunden war. Diese Diplome haben nicht blos in der
Schöpfung neuer Wappen, sondern auch in der (durch sie leider urkundlich gemachten)
Erklärung alter Wappen das Unglaublichste geleistet. (Beispielsweise ist das heraldische
Pelzwerk im alten Schilde der Kronenberg bei deren Standeserhöhung durch kaiserliches
Diplom vom Jahre 1623 in „blaue Berge in Kugelgestalt" verwandelt.) Der Übergang
der alten, ebenso vornehmen wie einfachen Schilde in Schachbretter mit den allerwunder-
lichsten Figuren wirkte leider sehr anregend auf den erst im 19. Jahrhundert geschaffenen
Adel, der, wenn er konnte, ein ganzes Naturaliencabinet oder ein ganzes Arsenal als
Wappen sich wählte und durch Diplom verherrlichen liess.

m) Für die Geschmacklosigkeit des Übertragens solcher Vorstellungen in die Heraldik
mag nur ein Beispiel für tausend andere sprechen. Nachdem man die Blätter im Schilde
der erloschenen Grafen von Tecklenburg höchst sinnreich als Herzen erklärt, mussten diese
natürlich als Symbol der Liebe gelten; auf dass aber dieser Liebe die gute Hoffnung
nicht fehle, so knüpfte man unauflöslich daran einen anderen Schild mit dem Bilde der
Hoffnung, einem Anker, der nun als Wappenbild der Grafschaft Bingen untergeschoben
wurde, obwohl es nie Grafen von Bingen gegeben hat. Vergl. L. v. Ledebur, Streifziige
durch die Felder des Königlich Preussischen Wappens. S. 116.

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| Wappenannahme, gegenwärtigen, nicht vergangenen Zustand sich be-
ziehen, die Andeutung unmittelbar vorher erhaltener Gerechtsame oder
sonstigen Gewinns an Ehre und Gut sein sollten. Die Feldzeichen
oder Fahnen mögen mitunter, wie die mittelhochdeutschen Dichter
erzählen, Anspielungen auf vorher erlittene Verluste oder Schäden,
Zeichen der Traner haben darstellen sollen: von den Schilden ist der-
gleichen aus zeitgenössischen Bildern und Bildwerken nicht bekannt.
Gedächtnisswappen sind erst sehr spät, nicht im Mittelalter in Mode
gekommen. In Gemässheit dieser aus allen Quellen zu erweisenden
Sachlage sollten endlich alle und jede Wappensagen ausnahmslos dahin
verwiesen werden, wohin sie gehören, in das Reich der nutzlosen, nicht
belehrenden Fabeln. Andrerseits sollte jeder Wappeninhaber bestrebt
sein, seine carricirten Schildesfiguren in ihrem ursprünglichen Charakter
wieder herzustellen; er vergesse insonderheit alle bei etwaiger Standes-
erhöhung seinem alten Schilde widerfahrene Unbill und kehre zurück
zu den Siegeln des 14. Jahrhunderts, da solche des 13. Jahrhunderts
nur wenige Geschlechter aufzuweisen im Stande sind122).

Wie schon der Sachsenspiegel für die Berechtigung zum Kampfe das
bantgemal zu prüfen verlangt, so war die Prüfung der Wappenschilde12:;),
das froijtren oder von ben lüäpen fpreebett Vorbedingung aller Kämpfe
und Kampfspiele, wie es im Titurel heisst :

V0a$ bie andern fuerert uf Reimen unb üf fcfjüben,

©eftriefet mit ben fnueren ober mit bem penfei bar üf gebüben,

Daj prüfen bie ber roappen roeefe warten.

122) Mit der obigen Auslassung ist eine Polemik gegen die Stile verschiedener
Kunstepochen in keiner Weise beabsichtigt, vielmehr würde der Grundsatz nur zu billigen
sein, dass die Darstellung eines Wappens nach dem Stile seiner Umgebung sich zu richten
habe. Das hindert jedoch nicht, gewisse Ungeheuerlichkeiten aus den Schilden zu ent-
fernen, welche der Unverstand einer späteren Zeit hineingeschmuggelt hat. Sogar der
spätere Briefadel könnte unbedenklicli manches Wappen säubern bezw. an entscheidender
Stelle säubern lassen von Dingen, welche heraldische Unkenntniss in Verbindung mit der
verdorbensten Geschmacksrichtung hineingebracht hat. Dem jetzt oft mit heroischer Be-
tonung vorgebrachten Satze ,,auch die Gegenwart hat ihre Rechte" braucht man hier gar
nicht entgegenzutreten, aber der Sinn ist doch schwerlich zu fassen, wenn Dinge, die nur
der Gegenwart angehören, zum Schmucke mittelalterlicher Waffen (Helm, Schild) verwendet
werden. Die unmittelbare Verknüpfung ganz heterogener Dinge wird immer eine Geschmack-
losigkeit bleiben, deshalb setze man Revolver und Zündnadelgowehre getrost in das Schild
der Firma, nicht in den Schild des Ritters. Der englische nobleman oder baronet weiss
sich in dieser Beziehung sehr wohl zu helfen, er lässt einfach den Helm wegfallen,
betrachtet eine ovale oder runde Scheibe nicht mehr als Ritterschild, sondern blos als
Umrahmung eines Emblems, welches mitunter sogar die Reize einer Seeschlacht oder einer
naturalistischen Landschaft mit brillanten Beleuchtungseffecten entwickeln darf. Wem bei
der Verleihung des Adels (Erhebung in den Adelstand darf bekanntlich nicht mehr
gesagt werden) eine Dampfmaschine oder gar die in der heutigen Kunst so beliebte Dar-
stellung eines ganzen industriellen Betriebes als Wappen verliehen wurde, dessen Verdienste
und Würden sollen deshalb in keiner Weise geschmälert, aber ästhetisch muss ihm die Be-
rechtigung abgesprochen werden, seine Embleme als Schmuck mittelalterlicher Waffen oder
Wappen darzustellen. Es stände deshalb zu wünschen, dass auch amtlich die Benennung
„Wappen" aufgegeben und mit „Emblem" oder „Zierrat" vertauscht, dass nicht mehr
Schilde, sondern Schilder verliehen würden, um der modernen naturalistischen Geschmacks-
richtung die gewünschte Concession zu machen. Zu solchen Concessionon wird die Heraldik
ohnehin gedrängt, welcher vor dem Vorwurf des Überlebten, längst Abgetanen bangt, welche
die Gegensätze zwischen Blüte und Entartung durch gefällige Compromisse beseitigen will.
Der schwulstige Aufputz moderner Embleme, die Carricaturen ritterlicher Waffen würden
nur beseitigt werden können durch verständnissvolles Zurückgehen auf das Rittertum, auf eine
Zeit, welche erst die Heraldik zu schaffen und schnell zu hoher Blüte zu bringen vermochte.
Das Wappenrecht der Gegenwart liegt durchaus im Dunkel, Gesetze dafür giebt es in Deutsch-
land nicht mehr; nur das ästhetische Gewissen und Verständniss der historischen Entwicklung
einerseits, die Gefahr des Lächerlichen andrerseits werden eine Zeitlang noch Hüter der
alten guten Sitte bleiben.

123) Die Controlle des Wappenschildes vor dem Turnier erstreckte sich nicht blos
auf das rein Äusserliche, es ward die fleckenlose Bewahrung des Schildes in jedem Sinne
geprüft; das Amt der Herolde, bie r>on beti t»afeit fpräerjen, war nur der Ausdruck für
die Controlle durch die Standesgenossen. Vor dem scharfen, durchdringenden Auge dieser
Standesgenossen, welche die Vorbedingungen der Turnierfähigkeit zum Ergebniss einer
gewissermassen ehrengerichtlicheu Untersuchung machten, schwand jede Bemäntelung oder
Verschleierung, alles Ansehen der Person, mochte auch diese Person im sonstigen Leben
gar Vieles durch Macht oder durch List auf krummen Wegen erreicht haben. Mit Recht
konnte schon vor dreihundert Jahren der ehrliche Wiguläus Hund (Bayr. St. B. IL 402)
schreiben: „Alsz vor Jaron Adeliche Tugent in mehrerm Ansehen gewesen, dann zu unsern
laidigcn Zeiten, war der Herholden Ambt, die öffentliche Laster, ohn Ansehen der Person,
bey den Turnieren und andern Adelichen Versammlungen zu straffen, — — und wäre
wol noch gut zu Erhaltung mehrer Zucht und Erbarkeit. aber dieses ist laider mit sambt
dem Ambt in gross Abnemen kommen." Von ben tnapen fprecfyen, baj man froijieren
nennet. Wir haben Seite 30 Anmerkung 53 erwähnt, dass man den Herold froijierre
oder frigierre (ursprünglich frigieraere) hiess, er ward auch bes fälliges ruofaere genannt
Biter. 9378 oder fnäpe ber roapen. Schon im 15. Jahrhundert wird der Ausdruck froijieren
nicht mehr gehört, das Wappen wird nun plasmiret oder ptasniret, nachgehends hat man

■f dann dem französischen blason oder blasonner den Vorzug gegeben.
 
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