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guten Willen und einem oft erstaunlichen Arbeitsaufwand versagen müssen,
weil sie vorher nicht genügend „trainiert“ worden sind und ihre Begabung da-
her nicht einschätzen können oder weil sie durch eine Institution mit einer völlig
anderen Zielsetzung - alle Kinder mußten ja zusammen sein - ungenügend für
ein Studium vorbereitet worden sind. Wenn der erfolgreiche Student nach vier
jahren den B. A. erreicht hat, kann er auf der Graduate School ein eigentliches
„Studium“ (spezialisiert, mit den nötigen geistigen und arbeitstechnischen Vor-
aussetzungen) beginnen, um nach frühestens zwei Jahren einen M. A. oder später
sogar nach weiteren zwei Jahren einen Ph. D. (Dr. phil.) zu erwerben, d. h. nach
mindestens 16 Semestern Studium. Es ist unschwer zu begreifen, wie tatsächlich
nur Spitzenkräfte diesen dornigen und langwierigen Weg der Auslese zu gehen
vermögen, durch den wiederum technische und wissenschaftliche Höchstleistungen
in den U. S. A. leicht erklärt werden. Hierbei ist noch nicht einmal erwähnt wor-
den, ob jeder Fähige gleichzeitig auch in der Lage und willens war, die immense
Geldsumme für dieses Ziel zu investieren.

Die Frage, die hier gestellt wird, muß heißen: Ist das (Auslese beim Studium)
im Sinne der „Volksbildung“ ein ökonomisches Verfahren? Wollen wir künftig
die Kinder während der Schulzeit auch nur noch „glücklich“ machen, damit sie
unter Umständen sehr bald tief unglücklich sein werden, falsche Wege gehen
oder gar scheitern?

Dieselbe Frage stellen sich amerikanische Universitätslehrer und Erzieher in
weiten Kreisen und suchen nach einer grundlegenden Reform, weil sie die Uber-
legenheit (ökonomisch gesehen) des europäischen oder sagen wir ruhig deutschen
Systems mit gewissen Einschränkungen erkannt haben. Die erste praktische
Reaktion war die stark propagierte und in College und High School zuneh-
mende „Auslese“. In Honors Groups werden begabtere Schüler in allen
F ä c h e r n möglichst früh zusammengestellt, damit sie getrennt besser und schnel-
ler arbeiten können. An die hiesigen Professoren (Syracuse N. Y) ist in diesen
Tagen wieder die dringende Bitte ergangen, Studenten für solche Gruppen zu
nominieren. Der Grund ist recht einfach: Man will rationeller oder ökonomi-
scher arbeiten, man will die jungen Leute selbst stärker befriedigen, indem sie
größere Erfolge als bisher erzielen können. Man will den Leerlauf einschränken.
Man will schließlich auch dem weniger Begabten seine Grenzen zeigen. Die ame-
rikanische Universität meint, man müsse sich in Schulfragen viel mehr an euro-
päischen Vorbildern orientieren, z. B. am Gedanken der deutschen Höheren
Schule, und nicht konservativ auf den alten überkommenen Formen der High
School beharren, die zweifellos ihre Aufgabe - eine Aufgabe der Vergangenheit -
gut erfüllt hat. „Konservativ“ erscheint hier in einem interessanten, neuen Licht.

Wir wollen nicht vergessen, daß wir bestimmt überall lernen können, wenn
wir ehrlichen Herzens und ohne Dogma lernen wollen. Vergleichen zwingt zum
Nachdenken, Nachdenken zwingt zum Lernen, Lernen zwingt zum Verbessern.
Also auch wir werden in dem fremden Lande mannigfache Züge finden, die uns
nachahmenswert erscheinen.

Aber kehren wir zum Thema „Bildungsökonomie“ zurück. Amerikanische
Universitäten sind der Ansicht, daß sie sich stärker um die Bildung einer geisti-
gen Oberschicht bemühen sollten, wenn sie den Wettbewerb in der Welt auf allen

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