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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 19.1976

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Nr. 2
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Riedel, Wilhelm: Kritische Anmerkung zu dem Normbuch für Latein
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https://doi.org/10.11588/diglit.33071#0030

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Kritische Anmerkung zu dem Normenbuch für Latein
Das Aufstellen von Normenbüchern bedeutet für die Lernprozesse in der Schule
ein Risiko. Was hier formuliert wird, ist so weit von der konkreten Lernsituation
entfernt, daß nur eine hohe Abstraktheit alle Bedürfnisse in sich begreifen kann.
Umfassen die Abstraktionen nicht, was in den einzelnen Fächern notwendig und
möglich ist, dann werden sie zum Hindernis für die Weiterentwicklung des Unter-
richts.
Der im Normenbuch für das Fach Latein1 aufgestellte Lernzielkatalog ist Be-
schränkungen unterworfen, die viele Aspekte des Lateinunterrichts, die heute die
Lernprozesse bestimmen oder die zumindest in den Bereich der Möglichkeit gerückt
sind, ausklammern und damit dem Glück und dem Zufall überlassen.
Wer den Lernzielkatalog aufmerksam durcharbeitet, wird einige bedeutende
Mängel feststellen. Ich möchte sie in wenigen Strichen andeuten.
1. Die verschiedenen Lernzielangaben stehen auf so unterschiedlichen Aussage-
ebenen, daß man beim Lesen ständig das Gefühl hat, wie ein Betrunkener umherzu-
torkeln. So stehen unter den Fähigkeiten zur Sprach- und Textreflexion hintereinan-
der die Fähigkeit, lateinische Texte zu verstehen und ins Deutsche zu übersetzen, und
die Fähigkeit, den Begriffsinhalt lateinischer Wörter und Wendungen im Kontext zu
erfassen und im Deutschen sinngemäß wiederzugeben. Während es sich im zweiten
Fall um ein instrumentales Lernziel handelt, das neben der unter andrer Rubrik
genannten Fähigkeit, wissenschaftliche Hilfsmittel zu benutzen, aufgeführt werden
muß, stellt das erstgenannte ein umfassenderes Ziel dar, das mit Hilfe der instrumen-
talen Fähigkeiten erreicht werden kann. Solange solche Unsicherheiten in der Zuord-
nung, für die ich noch viele andere Beispiele anführen könnte, bestehen, ist nicht zu
erwarten, daß der Lateinunterricht eine rationale und einheitliche Struktur erhält.
2. Einige Lernziele überschreiten die Grenze des Faches, ohne daß dabei eine
fächerübergreifende Projektbildung unter einheitlichem Lernziel ins Auge gefaßt
wird. Wenn Wirkungen lateinischer Dichtung auf die europäische Kunst erkannt
werden sollen, dann ist darüber Auskunft zu geben, in welcher Weise dieses Ziel mit
dem Lernbereich visuelle Kommunikation verbunden werden kann und unter wel-
cher gemeinsamen Zielsetzung dies geschieht.
3. Es bleibt unberücksichtigt, daß die Sprachwissenschaft den Gegenstand ihrer
Untersuchung in den letzten Jahren dahingehend erweitert hat, daß Sprache immer
gesehen wird in ihrer Einbettung in den Zusammenhang, in dem sie steht. Es ist kein
einziges Lernziel formuliert, das diesen pragmatischen Aspekt in die Betrachtung
einbezieht; lediglich das Ziel, die Absicht eines Autors zu erkennen, berührt ein wenig
diesen Bereich.
4. Der Begriff Sprachreflexion wird verwendet, ohne daß er begriffen ist. Refle-
xion besagt, daß der Betrachter in den Erkenntnisprozeß einbezogen wird, nicht bei
der reinen Betrachtung des Gegenstandes stehenbleibt. In dem Katalog ist kein
1 Beschlüsse der Kultusministerkonferenz: Einheitliche Prüfungsanforderungen in der Abitur-
prüfung - Latein. Hermann Luchterhand Verlag, 5450 Neuwied 1, Postf. 1780 (Mindestab-
nahme 5 Stück ä DM 1,50)

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