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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 30.1987

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Nr.3
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Aufsätze
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Fricek, Alfred: Welche Erkenntnisse kann der Schüler aus Ovids Metamorphose "Orpheus und Eurydike" für sein künftiges Leben gewinnen?
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https://doi.org/10.11588/diglit.35878#0101

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Trist IVto, 26: et quod temptabam scribere, versus erat) seine unvergleichliche Sprache
' gekonnt dem Inhalt angepaßt hat. Dafür lassen sich folgende 3 Beweise anführen:
1. Schon am Anfang des Gedichtes zeigt sich der negative Charakter, der die gesamte
Metamorphose beherrscht (richtig beobachtet von Römisch, V3 nequiquam, V5 nec ...
nec, V7 nullos ignes).
2. Diese von Römisch aufgezeigten Negationen verstärkt Ovid durch seine Hinweise
auf die das menschliche Gemüt bedrückende tiefe Finsternis der Unterwelt, die kein
einziger Lichtstrahl erhellt und wo nicht die geringste Herzenswärme aufkommen
kann (V13 inamoenaque regna, V20 opaca Tartara, V33, 34 trames arduus, obscurus, cali-
gine densus opaca).
3. Selbstverständlich verursacht der grausame, mitleidlose Tod für die Hinterbliebenen
tiefsten Schmerz (z.B. deflevit vates, V73 cura dolorque animi lacrimaeque alimenta
fuere).
So verdienstvoll — wie bereits ausgeführt — alle sprachlichen Interpretationen und
Untersuchungen über die spätere Bedeutung auch sind, so fehlt trotzdem eine kurze
Darstellung, weshalb es sich für den Schüler lohnt, diese während des Lateinunter-
richts kennenzulernen und welche Erkenntnisse er für sein künftiges Leben gewinnen
kann.
Ich möchte folgende Grundsätze aufstellen, die selbstverständlich im Rahmen einer
kurzen Darstellung nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben können:
1. Man soll versuchen, auch die kleinste Chance zu nützen. Obwohl Orpheus weitge-
hend davon überzeugt ist, daß es für die unbarmherzige Unterwelt charakteristisch ist,
nichts mehr zurück zu geben, was sie einmal in ihrer Gewalt hat, will er sich dennoch,
selbst der geringsten Möglichkeit, Eurydike zu erhalten, nicht begeben.
2. Orpheus betont seine ehrliche Absicht, sich klar auszudrücken (Vi9 falsi positis am-
bagibus oris). Der Lehrer soll es an dieser Stelle im Unterricht nicht unterlassen, die
Wichtigkeit einwandfreier Ausdrucksweise für die zwischenmenschlichen Beziehun-
gen entsprechend hervorzuheben.
3. Wer überzeugend wirken will, muß einleuchtende Argumente Vorbringen.
Orpheus versucht diesem Grundsatz durch folgende Feststellung zu entsprechen:
a) Eurydike ist äußerst früh gestorben (V3t properata fata)
b) Sie wird — wie alle Menschen — wenn sie hochbetagt (vgl. V36 matura) die ihr zuste-
henden Jahre vollendet haben wird, der Unterwelt gehören und den dort festgelegten
Gesetzen gehorchen müssen.
c) Die Unterwelt ist die letzte Wohnstätte der Menschen. Sie hat die längste Herrschaft
über das Menschengeschlecht (V33 humani generis longissima regna tenetis). Selbst-
verständlich liegt diesem letzten, geschickt vorgebrachten Argument der Gedanke zu-
grunde, daß, weil der Unterwelt der Löwenanteil des menschlichen Lebens zukommt,
eine gewisse Großzügigkeit angebracht ist.
4. Orpheus nimmt förmlich das bekannte Schillersche Zitat vorweg, daß man andere
erst verstehen kann, wenn man selbst einen Blick in sein eigenes Herz macht. Es ist für
ihn geradezu ein Axiom, daß die Macht der Liebe auch der Unterwelt bekannt ist (vgl.
V29 vos quoque iunxit amor). Orpheus erwähnt in diesem Zusammenhang die bekann-
te Entführung Proserpinas in die Unterwelt (Ovid spricht zwar im V29 juristisch unrich-
tig von rapinae — wie er auch in seiner bekannten Metamorphose ,,Proserpina"

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