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In der romantischen Bewegung in Deutschland steht
anfangs das ästhetische Interesse durchaus im Vordergrund.
Jene vollkommene Herrschaft des Schönen, die auch das
wissenschaftliche Denken in seinen Bann schlagen und alle
Wertgebiete durchdringen soll, ist der Ausdruck für dieses
allgemeine Ergriffensein von den ästhetischen Werten, für
die unbegrenzte Bewunderung und Verehrung, die man der
Dichtkunst entgegenbrachte. Den Ideen der Kunst sollte
aber auch im praktischen Leben Anerkennung verschafft
werden, und wie die Aufklärung die Ergebnisse des speku-
lativen Denkens für das Leben nutzbar machen wollte, so
suchte die Romantik die ganze Wirklichkeit mit dem Glanz
der Poesie zu verklären !).
Der historisch gerichtete Charakter dieser ästhetischen
Bewegung zeigt sich darin, dass das Bestreben vorliegt,
überall an die Vergangenheit anzuknüpfen und nach kon-
tinuierlichen Zusammenhängen zu forschen. Der Diskontinuität
des Aufklärungszeitalters sollte ein Ende bereitet werden.
Man hatte eingesehen, dass ein Bruch mit der Vergangen-
heit unmöglich war. Auch das soziale und politische Wachs-
tum der Nationen musste sich organisch vollenden, ein Da-
zwischenfahren mit rauher Hand und scharfem Stahl konnte
einer harmonischen Entwickelung nur hinderlich sein, da es
die Reifezeit künstlich beschleunigen und heftige Rückschläge
nach sich ziehen musste. Schelling hat daher aus diesem
Gesichtspunkt heraus dem Protestantismus den Vorwurf ge-
macht, dass er die Stetigkeit in der Entwickelung des
Christentums aufgehoben habe2). Auch im Reiche der Be-
griffe wird von Schelling und seinen Gesinnungsgenossen
die Kontinuität als das Wertvolle über die Diskontinuität
als das Wertlose erhoben.
Die Romantik ist lebhaft interessiert für das historisch
Gewordene, sie löst sich als Gegenrevolution aus der Auf-
klärung heraus und ist von vorn herein traditionalistisch
gestimmt Auf der anderen Seite aber ist die deutsche
Romantik in der Blütezeit ihrer Entwickelung auch weit
davon entfernt reaktionär zu sein, sie besitzt zu viel histo-
risches Verständnis, um nicht einzusehen, dass das notwendig
Gewordene durch künstlische Mittel sich nicht zurück-
schrauben lässt.
Das historische Interesse der Romantik war ein auf-
richtiges, ästhetisch-orientiertes und durchaus universelles.
In der Würdigung des Mittelalters, wie sie von Herder an-
gebahnt war, in der Bewunderung der mittelalterlichen In-

1) Vgl. Rudolf Haym „Die romantische Schule", S, 13 und 14.

2) Schelling, Werke I, 5, S, 301,
 
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