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Mehlis, Georg
Schellings Geschichtsphilosophie in den Jahren 1799 - 1804: gewürdigt vom Standpunkt der modernen geschichtsphilosophischen Problembildung — Heidelberg, 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.73237#0037
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- 29 -

Die schweren Vorwürfe, die Noack gegen Schelling
richtet1), erklären sich aus der grossen Schwierigkeit, einer
abgelebten und überwundenen Kulturbewegung unmittelbar
in ihrer Ganzheit gerecht zu werden, bevor sie in eine histo-
rische Perspektive gerückt ist. Um die Mitte des 19. Jahr-
hunderts war der Begriff der Romantik gleichbedeutend mit
reaktionär und dogmatisch. Dieser reaktionäre Charakter
liegt aber den Anfängen der Romantik gänzlich fern, und
auch an dem jungen Schelling bemerken wir nichts von
jenem kleinlichen dogmatisch-rückständigen Geist. Mit mehr
Recht mag man die Anfänge der deutschen Romantik der
Schwärmerei bezichtigen, wie es Kant im Jahre 1796 getan,
als er sich „über den neuerdings in der Philosophie erhobenen
vornehmen Ton" beklagte und behauptete, dass man unter
dem Namen der intellektuellen Anschauung eine neue Offen-
barung oder Erleuchtung als Ahnung des Uebersinnlichen
in die Philosophie einführen wolle. Gegen jede derartige
Identifizierung der intellektuellen Anschauung mit einem
mystischen Sondervermögen hat sich Schelling im „System
des transzendentalen Idealismus" nachdrücklich verwahrt 2).
Die intellektuelle Anschauung der ästhetischen Vernunft
soll nach Schelling die Möglichkeit gewähren, das Allgemeine
und das Besondere gleichmässig zu durchdringen. Der Ver-
stand vermag nur das Allgemeine, die Gesetze der Er-
scheinungen zu erfassen, in dieses Allgemeine geht aber das
Besondere, Individuelle der Erscheinungen nicht mit ein,
„denn Geschichte ist", wie Schelling in der Methode des
akademischen Studiums erklärt „nicht das rein Verstandes-
gesetzmässige, dem Begriff Unterworfene3)". Die Philosophie
der Romantik will auch zu dem Besonderen der Einzel-
erscheinung ein Verhältnis gewinnen, daher erhebt Schelling
gegen Kant den Vorwurf, dass er die Philosophie auf rein
diskursive Begriffe beschränkt habe4). So kann die intellek-
tuelle Anschauung als ein Symptom dafür gelten, dass diese
historisch so ausserordentlich interessierte Zeit nach einer
Methode suchte, welche der Geschichte Rechnung zu tragen
vermochte und in welcher das Besondere der Einzelerscheinung
gegenüber dem Allgemeinen in seiner Konkretheit und Fülle
gewahrt blieb.
Wir haben keineswegs die Absicht den Begriff der
intellektuellen Anschauung bei Schelling in seinem vollen
Umfang und in seiner wechselnden Bedeutung zu erörtern5),

1) Vgl. besonders Noack, Schellings Philosophie u. d. Romantik, S. 72.

2) Schelling, Werke I, 3, S. 370.

3) a. a. 0. I, 5, S. 280.

4) a. a. 0. I, 5. S. 129.

5) Das ist von Eduard v. Hartmann geschehen in seinem Werk
„Schellings philosophisches System", S. 28—51.
 
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