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der gemeinsamen Abneigung gegen die Aufklärung ) Ueber
diese grosse Zeit, deren Wirkungen noch deutlich in der
Gegenwart nachzitterten, vermochte sich die Romantik damals
kein objektives historisches Urteil zu bilden. Der negativ
zersetzende Geist der Aufklärung, der nichts Positives zu
schaffen vermochte, findet den Tadel der deutschen wie der
französischen Romantik, und mit einem gewissen ästhetisch-
aristokratischen Widerwillen bemerkte man, wie im Auf-
klärungszeitalter auch der intellektuelle Plebejer sich an-
gemasst hatte, über die höchsten Fragen der Religion, Philo-
sophie, Kunst und Gesellschaft zu urteilen. Der öde Formalis-
mus und die nüchterne Verstandeskultur, wie sie etwa in
dem Zerrbild eines Nikolai sich geltend machte, erregte die
lebhafteste Erbitterung und die heftigste Opposition der
deutschen Romantik. In der Ablehnung und Bekämpfung des
einseitigen Rationalismus, sowie in dem feinen Verständnis
für die grossen Kulturepochen der Geschichte, so vor allem
der Antike, aber auch des Mittelalters und der Renaissance,
in der relativ gleichmässigen Bewertung dieser Epochen, von
denen jede für den Romantiker ihren besonderen Reiz besitzt
und keine auf Kosten der anderen gänzlich herabgedrückt
wird, offenbart sich der historische Geist der deutschen
Romantik ebensowohl wie in der beginnenden Einsicht und
Erkenntnis der logischen Struktur der Geschichte. Der
französischen Romantik fehlt es an dieser historischen Fein-
fühligkeit, wenn sie den historischen Prozess zur Demon-
stration der sukzessiven Erfüllung gewisser praktischer Ge-
sellchaftsziele verwertet, das Mittelalter mit eminenter Ein-
seitigkeit über die Antike erhebt und wie Comte den Intellek-
tualismus so weit treibt, dass sie die ganze bunte Mannig-
faltigkeit der Geschichte durch Gesetze zu meistern denkt.
Wir können den tiefgehenden Unterschied zwischen den
Bestrebungen der deutschen und der französischen Romantik
am besten durch einen Vergleich der beiden Synthesen
deutlich machen, wie sie von Schelling und Comte in der
„Methode des akademischen Studiums" und im „Cours de
la philosophie positive" angestrebt wurden, um die notwendige
Einheit auf allen Gebieten des Geistes wie auch des prakti-
schen Lebens zu begründen. Beide Philosophen gehen von
der Voraussetzung aus, dass die allzugrosse Spezialisierung
der Wissenschaften, die ihr einheitliches Fortschreiten ver-
hindert, die religiöse und politische Zerrissenheit, sowie der
damit verbundene Zerfall der Moral, eine Vereinheitlichung
des ganzen geistigen Lebens und eine Synthese von Philo-
sophie, Wissenschaft, Religion und Kunst dringend erforderlich
1) a. a. 0. I, 5, 8.258 und 435. Comte Cours. Bd. V, S. 533—42.
der gemeinsamen Abneigung gegen die Aufklärung ) Ueber
diese grosse Zeit, deren Wirkungen noch deutlich in der
Gegenwart nachzitterten, vermochte sich die Romantik damals
kein objektives historisches Urteil zu bilden. Der negativ
zersetzende Geist der Aufklärung, der nichts Positives zu
schaffen vermochte, findet den Tadel der deutschen wie der
französischen Romantik, und mit einem gewissen ästhetisch-
aristokratischen Widerwillen bemerkte man, wie im Auf-
klärungszeitalter auch der intellektuelle Plebejer sich an-
gemasst hatte, über die höchsten Fragen der Religion, Philo-
sophie, Kunst und Gesellschaft zu urteilen. Der öde Formalis-
mus und die nüchterne Verstandeskultur, wie sie etwa in
dem Zerrbild eines Nikolai sich geltend machte, erregte die
lebhafteste Erbitterung und die heftigste Opposition der
deutschen Romantik. In der Ablehnung und Bekämpfung des
einseitigen Rationalismus, sowie in dem feinen Verständnis
für die grossen Kulturepochen der Geschichte, so vor allem
der Antike, aber auch des Mittelalters und der Renaissance,
in der relativ gleichmässigen Bewertung dieser Epochen, von
denen jede für den Romantiker ihren besonderen Reiz besitzt
und keine auf Kosten der anderen gänzlich herabgedrückt
wird, offenbart sich der historische Geist der deutschen
Romantik ebensowohl wie in der beginnenden Einsicht und
Erkenntnis der logischen Struktur der Geschichte. Der
französischen Romantik fehlt es an dieser historischen Fein-
fühligkeit, wenn sie den historischen Prozess zur Demon-
stration der sukzessiven Erfüllung gewisser praktischer Ge-
sellchaftsziele verwertet, das Mittelalter mit eminenter Ein-
seitigkeit über die Antike erhebt und wie Comte den Intellek-
tualismus so weit treibt, dass sie die ganze bunte Mannig-
faltigkeit der Geschichte durch Gesetze zu meistern denkt.
Wir können den tiefgehenden Unterschied zwischen den
Bestrebungen der deutschen und der französischen Romantik
am besten durch einen Vergleich der beiden Synthesen
deutlich machen, wie sie von Schelling und Comte in der
„Methode des akademischen Studiums" und im „Cours de
la philosophie positive" angestrebt wurden, um die notwendige
Einheit auf allen Gebieten des Geistes wie auch des prakti-
schen Lebens zu begründen. Beide Philosophen gehen von
der Voraussetzung aus, dass die allzugrosse Spezialisierung
der Wissenschaften, die ihr einheitliches Fortschreiten ver-
hindert, die religiöse und politische Zerrissenheit, sowie der
damit verbundene Zerfall der Moral, eine Vereinheitlichung
des ganzen geistigen Lebens und eine Synthese von Philo-
sophie, Wissenschaft, Religion und Kunst dringend erforderlich
1) a. a. 0. I, 5, 8.258 und 435. Comte Cours. Bd. V, S. 533—42.