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Meier-Graefe, Julius [Editor]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0072
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schlafende graue Katze, eingewiegt in das strahlende Blau des
Kleides, und scheint teil an dem Traum zu haben, der das Mädchen
umfängt. Was würde Delacroix, der an Courbets schlummernder
Spinnerin Gefallen fand, zu dieser Darstellung schlafenden Lebens
gesagt haben! Die Erinnerung an Courbet klingt in diesem Bilde
noch wie ein leises Echo mit; aber was der vermochte, das in die
Poren der Leinwand gepreßte animalische Dasein, scheint hier
mit noch größerer Wahrscheinlichkeit in eine höhere Sphäre
getragen. Immer noch bleibt das Wesen animalisch. Wäre es
anders, so wäre das Resultat Lüge. Aber diese Erkenntnis be-
herrscht nicht wie vor Bildern Courbets den Betrachter. Sie ist
nur der Pol, um den sich höhere Empfindungen gruppieren, und
befestigt eine Manifestation, die man versucht ist, seelisch zu
nennen. Diese Erscheinung hängt mit dem Farbigen zusammen.
Ich meine damit nicht die Palette, sondern die in dem Farbigen
wahrnehmbare Empfindung, die unendlich höher steht als Courbets
altmeisterlicher Realismus. Die Farbe leistet im Bilde Renoirs
mehr als in dem Courbets. Sie gibt nahezu ein Doppelwesen.
Einmal hilft sie zur Verdeutlichung des Körpers, des Endlichen,
und weiter führt sie ein scheinbar davon unabhängiges Dasein.
Sie schafft eine für sich bestehende Harmonie, die uns zum Un-
endlichen leitet. Das für sich lebende, sprühende, glühende
Blau, das den schlafenden Körper und das schlafende Kätzchen
umhüllt, drückt besser, als jede physiognomische Anspielung ver-
möchte, das Allegorische des Bildes aus. Es wirkt, gerade weil
der Künstler auf jeden direkten gegenständlichen Hinweis ver-
zichtet, so stark symbolisch, wie ein zauberhaftes Abbild bunten
weiblichen Traumlebens. Diesen Zauber versagt Courbet, so sicher
er alles Sichtbare traf, und nie hat ein anderer Maler solche
Ahnungen verbildlicht. Die lässige Hingabe der Frau im Traum
hat Fragonard oft mit Meisterschaft geschildert. Doch können wir
uns vor dem Renoir nicht einer leisen Verachtung jener schnell
erschöpften Erotik erwehren. Man möchte, in Renoirs Zauber
befangen, fast glauben, daß der berühmteste Frauenmaler des
Dixhuitieme ein künstliches Wesen vor sich sah.

Solcher Bilder hat Renoir einige Hunderte gemalt. Immer
Mädchen, schlafend, sitzend, liegend, nackt, bekleidet, mit nichts
als ihren Träumen beschäftigt; Frauen in der ersten Blüte mit ihren

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