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Meurer, Moritz
Pflanzenformen: vorbildliche Beispiele zur Einführung in das ornamentale Studium der Pflanze; zum Gebrauche für Kunstgewerbe- und Bauschulen, Technische Hochschulen und höhere Unterrichtsanstalten sowie für Architekten und Kunsthandwerker — Dresden, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.43158#0082
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seiner Rippen ergeben sich die Proportionen und Formen sowohl der ganzen Silhouette
des Blattes wie seiner Lappungen, Buchtungen, Zacken oder sonstigen Gliederungen.
Von wesentlichem Einfluss auf die Gestaltung der Blätter (wie auf die ganze Anordnung
der Pflanzenverzweigung überhaupt) ist die Schwerkraft. Das Gebot einer gleichseitigen Belastung
von Stamm, Zweig, Blattstiel und Mittelrippe zum Zwecke der Erhaltung des Gleichgewichts spricht
sich von der strahlenförmig gleichmässigen Anordnung der Organe um den Hauptstamm, bis in
die beiderseitig gleichgestaltete seitliche Verzweigung und die Symmetrie der beiden Hälften des
Laubblattes aus.
Während infolge dieser gleichseitigen Massenanordnung die Querachse des Blattes (wie
aller Verzweigungen) Symmetrie oder wenigstens ebenmässige Bildung aufweist, sind diese
Elemente in der Längsachse derselben nicht vorhanden, in ihr wirkt nur die Proportion: die
Entwickelung verschiedener Massverhältnisse. Dadurch tritt in der Längenausdehnung des Blattes
der Begriff der Richtung, der Begriff des Unten und Oben zu Tage, welcher in der symmetrischen
(Ouer-) Achse nicht vorhanden ist. Wie in allen Gliedern spricht das Längenwachstum der
Pflanze auch in den Blättern Proportion und Richtung und damit die Gegensätzlichkeit von
Läno-s- und Ouerachse meist in scharfer Weise aus.
Diese Längsproportionen drücken sich graphisch verschieden in den Umfassungslinien des Blattes
aus, welche sich am Blattfusse beiderseitig seiner Mittelrippe voneinander entfernen und gegen
den Kopfteil des Blattes wieder zusammenlaufen. Diese Linien treffen sich oben wie unten meist
in Winkeln an der Blattachse, laufen bisweilen aber auch, namentlich im Kopfteile, in einer
Kurve zusammen. Die Kurven der Blatthälften sind häufig einfach, bisweilen aber auch zwei- bis
dreimal gekrümmt. Danach gestaltet sich die Hauptform des Blattes bald in mehr kreisförmigen,
elliptischen oder eiförmigen, bald in gestreckteren Flammen-, Linsen- oder Spindelformen. Aber auch
bei den schmälsten Erscheinungen derselben (wie sie in den Nadeln der Koniferen auftreten) ist,
sobald sie gestielt sind, ein anfängliches Schwellen des Wachstums und eine konische Beendigung
desselben fühlbar. Das Blatt gleicht in dieser Beziehung der vertikalen Silhouette der ganzen
Pflanze. [Wie alle generellen Erklärungen der pflanzlichen Wuchserscheinungen nur die Mehrzahl
dieser Erscheinungen betreffen können, so gilt auch die Form des konischen Abschlusses nur für die
Mehrzahl der Blätter. Manche schliessen mit ganz flachen Kurven, einzelne zeigen sogar (wie das
Tulpenbaumblatt) einen Einschnitt statt einer Spitze. Häufig sind solche Einschnitte allerdings
nur aus teilweisen Zusammenwachsungen von Blättern entstanden (siehe das Kehlblatt der Akanthus-
blüte Tafel 57).]
Die konische Beendigung des Wachstums tritt ebenfalls, und oft noch deutlicher aus-
gesprochen in den Formen der Lappen und Zackungen der Blätter auf. Sie entspricht der Ver-
jüngung der Rippen gegen den Kopfteil und die Ränder des Blattes, mit welcher ihre blattfleisch-
bildende Thätigkeit abnimmt. Diese Abnahme findet aber nicht in derartig gleichmässigen Ver-
hältnissen statt, wie sie sich in konvergierenden graden Linien der Blattendigungen darstellen
müsste, sondern in Proportionen, welche eine konische Form in der Gestalt eines Spitzbogens
erzeugen. Diese spitzbogenartigen Formen dürfen den Rückschluss gestatten, dass auch die
Proportionen der Rippen und ihrer Intervallen (namentlich bei fiedernerviger Berippung) nicht auf
einfacher Steigerung oder Abnahme gleicher Zahlenwerte beruhen, sondern dass ihre gegenseitigen
Abmessungen sich aus anderen, verwickelteren Verhältnissen ergeben. (Wenn die nachfolgenden
Versuche schematischer Blattdarstellungen auch dem gewissenhaften Bestreben entsprungen sind,
diese proportionellen Erscheinungen sichtbar zu machen, so können sie doch nicht den Anspruch
 
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